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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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–, und nehmen Sie standhaft alles hin, was über Sie hereinbrechen mag. Kauen Sie die Briefbögen mit geschlossenem Mund, ohne Faxen, so als würden Sie eine Brezel essen. Der Adamsapfel soll beim Hinunterschlucken nicht übermäßig auf-und abhüpfen. Ihr Gesicht darf nicht die geringste Gemütsbewegung erkennen lassen. Tun Sie es jenen bewundernswerten englischen Butlern gleich, die in den peinlichsten Situationen nicht einmal die Miene verziehen. »Noch etwas, Herr Graf?«, fragen Sie ihn sodann, wenn Ihnen keine Papierfaser mehr im Munde bleibt. Wenn Don Demetrio mit nein antwortet, sollten Sie sich verbeugen, wobei Ihr Körper einen Winkel von fünfundvierzig Grad zu bilden hat, und sich schweigend zurückziehen. Befiehlt er Ihnen jedoch, auf Ihrem Platz zu bleiben, müssen Sie unbeweglich stehenbleiben. In der gleichen Haltung, die Sie angenommen hatten, als der Herr Graf, ohne zu ahnen, was ihm bevorstand, den Umschlag aufriß und den Brief zu lesen begann. Ergreifen Sie keinerlei Initiative. Lassen Sie ihn entscheiden, wann Sie sich entfernen sollen. Verwandeln Sie sich in eine Salzsäule. Halten Sie eine, zwei, drei Stunden aus, so lange wie nötig. Begeben Sie sich in Ihrer Phantasie auf die abwegigsten Reisen – niemand kann Sie hindern, dieses Recht auszuüben –, aber bewegen Sie nicht einen Finger. Nehmen Sie, wenn es Ihnen zweckmäßig erscheint, zu jenen seltsamen Gedankenspielen Zuflucht, mit denen wir in unserem Innern die phantastischsten Welten erstehen lassen können. Versuchen Sie zum Beispiel, sich ein Firmament vorzustellen, an dem anstelle der Sterne Gleichungen dritten Grades oder phosphoreszierende Kubikwurzeln leuchten. Trachten Sie, in die faszinierende Welt der Insekten einzudringen, die dem Menschen so viele, tiefgründige Lehren erteilen. Die beiden Briefbögen, die Sie gerade gegessen haben, liegen Ihnen noch immer schwer im Magen. Weshalb stellen Sie sich dann nicht einfach vor, Sie hätten sich in ein abnorm vergrößertes Silberfischchen verwandelt, und versuchen, sich in eine dunkle Welt zu versetzen, die kaum erhellt wird durch den fernen Glanz ehrwürdiger Pergamente? Weshalb entschließen Sie sich nicht, auf den Flügeln Ihrer Phantasie durch enge, feuchte Gänge zu eilen, angezogen vom betörenden Duft irgendeiner Inkunabel? Die Phantasie ist ein ewigwährender Frühling, Bautista. Es sollte den Sklaven wenig bedeuten, daß ihre Herren draußen eisige Winter herrschen lassen. Ich versichere Ihnen, mein Freund, es gibt viele Mittel, die Ihnen zu Gebote stehen, während man Sie zwingt, unbeweglich zu verharren. Drei Stunden, vier Stunden, fünf Stunden. Halten Sie so lange stand wie nötig. Verschaffen Sie dem Herrn Grafen nicht die Genugtuung, Sie ohnmächtig zu Boden sinken zu sehen. Was mich betrifft, so seien Sie unbesorgt, ich gedenke nicht, Sie zu züchtigen, auch wenn Sie um fünf Uhr in der Frühe zurückkehren. Ja, Sie können sogar die ganze Nacht im Schloß von Don Demetrio verbringen und erst morgen vormittag heimkehren, wenn der Tag schon fortgeschritten ist. Es ist so gut wie sicher, daß ich Sie bis dahin nicht benötigen werde. Ich werde die ganze Zeit Ihrer Abwesenheit mit Lesen verbringen. Meine Insektenbücher erwarten midi. Sie werden sich erinnern, daß Sie erst gestern zwölf neue Bände in die Bibliothek getragen haben. Sollte ich Sie aber doch benötigen, so werde ich mich allein zurechtzufinden wissen. Ich bin nicht so unnütz, wie manche glauben. Während Sie dem Herrn Grafen unbeweglich gegenüberstehen und sich vorstellen, ein Silberfischchen zu sein, kann ich für meinen Teil mir ebenfalls einbilden, ich hätte mich in ein niederes Insekt verwandelt, jeden Augenblick dem Tod preisgegeben durch den Stiefel eines Ausflüglers. Mehr als einmal, Bautista – ich sage es Ihnen in aller Offenheit –, habe ich diese winzigen Geschöpfe beneidet, die geboren werden, leben und sterben, ohne ein Bewußtsein der Zeit zu haben, die vergeht. Ach ja!
    Welch ein Glück, könnte ich mich zum Beispiel in eine jener Teufelsblumen verwandeln, die in ihre eigene Schönheit verliebt sind! Vielleicht ist sie mein Lieblingsinsekt, Bautista. Wissen Sie, wie sie aussieht? Es gibt in dieser Welt nichts Schöneres. Der untere Teil ihres Körpers gleicht einem Zweig mit welken Blättern, zwischen denen sich an der Spitze eines langen Stengels das Wunder eines purpurnen, blauen, violetten und rosafarbenen Blütenblattes entfaltet. Selbst ihre Vorderbeine, mit denen sie die

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