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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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Liebesgenüssen mochten wohl eine derartige Schwäche bei einem Mann rechtfertigen, der zu jener Zeit wenig mehr als vierzig Kilo wog? Don Demetrio hatte noch viele andere Manien. Zum Beispiel seine Obsession für die ungeraden Zahlen. Oder seine Vorliebe für die Farbe Grün, in all ihren Schattierungen. »Es gibt keine angenehmere Farbe für das Auge«, seufzte er, indes er einen Salatkopf betrachtete. Gewiß, ich weiß sehr wohl, daß Grün die Farbe der Jugend ist und daß der Herr Graf zu jener Zeit noch nicht einmal das dreißigste Jahr vollendet hatte. Doch glaube ich nicht, daß seine grenzenlose Vorliebe für diese Farbe nur eine Frage des Alters war. Sie wissen ja, es gibt Neigungen, die uns bis zum Grab begleiten. Ich bin sicher, daß Don Demetrio seine chromatischen Vorlieben unverändert bewahrt hat. Und ist da nicht jene smaragdgrüne Fahne, die Tag und Nacht am höchsten Punkt seines Schlosses flattert? Kurz und gut, Bautista, Sie müssen sich grün kleiden, um den Brief zu überbringen. Grüne Beinkleider und grünes Wams. Grüne Strümpfe und grüne Schuhe. Wir verlieren nichts dabei. Ich werde Ihnen sogar sagen, daß er sich weigern könnte, das Schreiben zu lesen, würden Sie in einer anderen Farbe bei ihm erscheinen. Eine falsche Farbe kann alle unsere Voraussagen zunichtemachen. Sie werden sich fragen, weshalb der Herr Graf die Farbe Grün vorzieht und nicht Rot, Blau oder Gelb? Das ist schwer zu sagen, mein Freund. Denken Sie daran, daß man niemals über Farben noch über Geschmäcker streiten soll. Zumindest raten das die Scholastiker. Ich habe mich damit begnügt, eine Tatsache zu schildern und Ihnen nahezulegen, was Sie am besten tun können. Im Grunde habe ich nichts weiter getan, als die großen Linien Ihres Verhaltens zu entwerfen in einer Mission, die von größter Wichtigkeit für mich ist. Zudem gehe ich mit gutem Beispiel voran. Sehen Sie sich den Umschlag und das Papier des Briefes an. Sie sind ebenfalls grün. Ich mußte bei einem halben Dutzend Lieferanten nachfragen, bis ich es gefunden hatte. Weshalb aber jetzt mein Vergnügen daran, einen auf grünem Papier geschriebenen Brief an einen Mann zu schicken, der in dieser Farbe die Quelle höchster Wonnen zu finden scheint? Ich sage es Ihnen noch einmal, Bautista: über Geschmack läßt sich nicht streiten. Niemand wagte, Nero ob seiner Neigung zu kritisieren, die grausamsten Gladiatorenkämpfe durch einen Smaragd hindurch zu betrachten. Ich bin sicher, daß dieser Imperator hinter dieser Gewohnheit mehr als nur Kurzsichtigkeit verbarg; vielleicht die Notwendigkeit, sich eine lieblichere Welt vor Augen zu halten, ohne gezwungen zu sein, diese Schwäche zu bekennen oder auf den Anblick des Blutes zu verzichten. Gehen Sie also grün gekleidet zum Schloß von Don Demetrio, Bautista. Wir wollen nicht weiter darüber nachdenken. Und stecken Sie sich außerdem ein Paar Frösche in die Tasche. Grüne Frösche, natürlich. Stellen Sie sich die Szene vor. Der Herr Graf hat Sie ohne übermäßige Begeisterung empfangen. Er beginnt, den Brief zu lesen und stößt dabei auf gewisse Schwierigkeiten, zu denen ich Ihnen später noch etwas sagen werde. Sein Augenlicht ist zudem schwächer als gewöhnlich. Er ist gereizt. Er macht eine Pause, hebt den Blick von den Briefbögen, und dieser fällt unverhofft auf die beiden hübschen Frösche, die Sie, in weiser Voraussicht, einen Augenblick zuvor freigelassen haben. Auf der Stelle fühlt er sich gestärkt. Sie erklären ihm alsdann, daß Sie die Frösche auf meine Anweisung hin mitgenommen haben, und diese Geste wird ihn endgültig zu unseren Gunsten stimmen. »Wollen wir doch einmal sehen, was Ihr liebenswerter Herr mir noch zu sagen hat«, seufzt er, indes er die Lektüre wieder aufnimmt. Fangen Sie also ein Froschpärchen, Bautista. Was ich Ihnen da sage, ist nicht mehr bloß ein Vorschlag, sondern ein Befehl. Im Teich werden Sie alle gewünschten finden. Wählen Sie die anmutigsten aus. Sie sollen nicht zu klein, aber auch nicht allzu groß sein. Und mit Feingefühl quaken. Verwahren Sie sie in der Tasche, und lassen Sie sie erst frei, wenn der Herr Graf, in die Lektüre versunken und womöglich im Begriff, aufzugeben, die Briefbögen zwei Fingerbreit vor die Nase hält. Sie fragen mich, weshalb ich gesagt habe >im Begriff, aufzugeben