Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
dieses moderne Unbehagen – von Michael Ende in seiner wunderbaren Geschichte einer kleinen Heldin aufgegriffen –, das so viele unwissenschaftliche, wohlmeinende Autoren zu ihren zwischen Buchdeckel und auf Websites gepackten Befunden über den Maya-Kalender und seine angeblichen Heilkräfte oder Wahrsagefähigkeiten oder ganzheitlichen Aussagen oder Lebenssinn-Erklärungen motiviert. Die Sache hat allerdings den markanten Haken, dass die moderne Entfremdung von der natürlichenZeit rein gar nichts mit einem Kalender zu tun hat, dessen Urheber von den Beschädigungen der modernen Existenz nichts wussten und ihn somit auch nicht auf deren Heilung ausgerichtet haben.
Letzten Endes geht es um jenen Trost, den vor Jahrtausenden Menschen am abendlichen Lagerfeuer verspürten, wenn der Gruppen-Schamane unterhaltsam und nachvollziehbar darlegte, was es mit dem rätselhaften Funkeln am Nachthimmel auf sich hat und warum sich daraus der Sinn des Lebens erklären lässt. Wir modernen Zeitgenossen verfügen weithin nicht mehr über sinnstiftende kosmologische Erklärungsmodelle der Welt. Vernunft und Moderne haben zwar ermöglicht, dass wir ein Leben führen, das bequemer nie war – aber was es mit diesem Leben überhaupt auf sich hat und wie man darin sinnvoll reift, Erklärungen zu liefern, die nicht nur erklären, sondern auch trösten und Hoffnung spenden, das kann der entzauberten Moderne schwerlich gelingen. Also dienen uns versunkene, exotische Kulturen wie die Maya als willkommene, wenn auch gänzlich wirkungslose Projektionsfläche, weil ihre vermeintliche Ursprünglichkeit entlastende Erklärungen bereithält. Zupackender und wirkungsvoller wäre da die Aussteiger-Variante à la Rousseau: Zeitfessel abstreifen und Uhrzeit verlernen – denn unser Problem ist keine Kalenderdiktatur, gegen die ein anderer, mutmaßlich »gesünderer« Kalender sozusagen ein geeignetes Gegengift abgeben könnte. Vielmehr leiden wir an der allgegenwärtigen Uhr und der einstweilen munter voranschreitenden Beschleunigung.
Für entlastende Projektionen besser geeignet wäre ohnehin der gänzlich kulturferne Hirte, der irgendwo in Mittelasien vor Jahrtausenden mit seiner Herde durch endlose Weiten zieht, irgendwann zu Staub zerfällt und in die Unermesslichkeit des Wüstensands eingeht. Aber dieser Hirte hat keine fantasiereichen Bilder zu bieten, keine geheimnisvolle Geschichte, keine eindrucksvollenTempelbauten voller rätselhafter Inschriften und keinen faszinierenden Kalender – er bleibt geschichtslos. Der Maya-Kalender aber hat es verdient, ernst genommen und in Geschichte und Funktion so genau erforscht und wahrheitsgetreu dargestellt zu werden, wie es Geschichtsforschung nur kann, wenn sie der Vergangenheit nachspürt.
Bernd Ingmar Gutberlet hat in Berlin und Budapest Geschichte studiert und als Journalist, Lektor und Projektmanager im Kulturbereich gearbeitet. Seine Bücher Die 50 populärsten Irrtümer der deutschen Geschichte und Die 50 größten Lügen und Legenden der Weltgeschichte wurden Bestseller. Zuletzt erschien Die neuen Weltwunder. In 20 Bauwerken um die Welt. Bernd Ingmar Gutberlet lebt und schreibt in Berlin.
Weitere Titel des Autors:
Die neuen Weltwunder
Die 33 wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte
Die 50 größten Lügen und Legenden der Weltgeschichte
Die 50 populärsten Irrtümer der deutschen Geschichte
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