Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
schwerer Seide und starren Brokats und dem leisen Klirren von Degenscheiden, die gegen den Stein schlugen.
Die Blicke gingen hinauf zur Westempore. Es schien, als schwebte der spanische Modehimmel über den Chor: Herren in Wämsern mit weit vorgewölbten Gänsbäuchen, die Damen in hochgeschlossenen Leibchen mit Schneppe, Männlein wie Weiblein mit prächtig aufgepluderten Ärmeln, um den Hals die mit Reismehl gestärkte Halskrause, einem Mühlrad gleich an Umfang, der die Herbergen an den Poststraßen und auch so manchen hochherrschaftlichen Haushalt mittlerweile dazu gezwungen hatte, die Stiele der Löffel beträchtlich zu verlängern.
Zwar sah man von unten über die Balustrade hinweg nur knapp die Hälfte der Pracht. Doch es prunkten und funkelten die reich über die Kleidung verstreuten Edelsteine der Adeligen, der hohen Hofbeamten, der Kleriker und reichen Kaufleute, die Macht und den Einfluß ihrer Träger unterstreichend, auf das gemeine Volk herunter.
Der Einzug war auch für mich das Signal, meinen Beobachtungsplatz im Volk aufzugeben, um das Geschehen auf meinem zugewiesenen Emporensitz weiterzuverfolgen.
Oben angekommen, erblickte ich als erstes die Gestalt des beredsamen Herrn Marx Fugger. Ein kostbarer Zobelpelz betonte die breiten Schultern, über die Brust wallte ein Patriarchenbart, darüber sprang eine kühn gebogene Nase aus einem kantigen Gesicht mit dunkelblauen Augen und einer ungewöhnlich hohen Stirn.
Auch jetzt redete er auf zwei Herren ein. Links auf den Geheimen Rat Dr. Justinian Moser, Visitator zu Innsbruck; rechts auf einen schlanken, jüngeren Herrn in eleganter, schwarzer spanischer Hoftracht, auf dessen Brust ein großer, in Gold und Perlen gefaßter Smaragd blitzte. Sein modisch gestutzter Bart und die kurzgeschnittenen Haare waren brandrot, die Augen graugrün, der Mund voll, sinnlich, etwas weich. Ein Mann, der im Augenblick Sorgen zu haben schien, vielleicht sogar so etwas wie Angst.
»Beunruhigt Euch nicht, mein lieber, junger Freund«, tröstete ihn der Herr Fugger. »Wir alle wissen, daß diese Angelegenheit für Euch nicht angenehm ist.«
»Nicht angenehm?« fauchte der Angeredete, während ihm das Blut ins Gesicht schoß. »Sie ist einfach abscheulich! Widerwärtig! Schändlich! Obszön! Jawohl: Obszön!«
»Mein verehrter Herr Doktor von Dreyling …«
»Wie stehe ich da vor dem allergnädigsten Erzherzog?« lamentierte der junge Mann weiter, ohne zuzuhören, schlug die ringbeladene Hand vor die Augen. »Mein Halbbruder als Aufrührer vor Gericht gezerrt! Als Staatsfeind entlarvt! Als Ketzer gebrandmarkt! Als gemeiner Verbrecher öffentlich hingerichtet!«
»Um der Jungfräulichkeit der Mutter Maria willen, redet leiser!« zischelte der Geheimrat Dr. Moser von der anderen Seite. »Deshalb haben wir doch das Berggericht von Schwaz ausgewählt, damit nichts offenbar wird – weil das Berggericht dafür gar nicht zuständig ist.«
Ein unglaublich fetter, kurzatmiger Prälat mit einem schweren Goldkreuz auf der Brust, Monsignore Umberto d’Angelis, der römische Beobachter des Prozesses, war hinzugetreten.
»Herr von Dreyling, niemand – ich betone: niemand! – ist daran interessiert, daß Euer Bruder Adam als Hochverräter vor Gericht kommt. Ihr nicht – und wir erst recht nicht!«
»Man wird Euren Bruder …«
»Halb! Halb-Bruder!«
»… Halbbruder«, fuhr Herr Marx Fugger fort, »wegen irgendeines bedeutungslosen Bergfrevels verurteilen und hinrichten – und damit ist die ganze Sache begraben und vergessen für die Welt.
Die Rechtslage ist klar. Herr Leoman von Schiller-Herdern, der Anklagevertreter, ist einer unserer besten Juristen und wird spielend mit solch einem Tölpel von Bergrichter, der ja nicht einmal ordentlich Jurisprudenz studiert hat, fertig. Die Geschworenen – sind meine Leute …«
»Ihr habt sie doch nicht etwa bestochen?« entsetzte sich Dr. Justinian Moser. »Ich meine, weniger aus moralischen Gründen, Herr Fugger. Aber wenn da etwas aufkäme …«
Marx Fugger zuckte verächtlich mit den Mundwinkeln.
»Haltet Ihr mich für einen Narren, hochverehrter Herr Geheimrat? Die Leute sind einfach von mir abhängig. Und wie das Sprichwort sagt: ›Wes Brot ich eß, des Lied ich sing’.‹«
Nach und nach kam so etwas wie Ordnung in das glitzernde Gedränge, als die edlen Herren und Damen endlich auf ihren Stühlen Platz nahmen. Die Damen waren auf den hinteren Stuhlreihen plaziert. Die aus Innsbruck und Rom, aus Wien, Venedig und Hall
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