Der Metzger holt den Teufel
derart trostlos in den Erdboden versenkt zu werden. Gebückte Häupter schleichen in einer schwarz gefärbten Kolonne zu einer Grube; es folgen die unpersönlichen, hoffnungslosen Worte des Priesters über das Sterben und den Verstorbenen; Worte über die Vergebung der Sünden, die aufgeladene Schuld und als dezenter Hinweis auf das Jüngste Gericht die Bitte an den Herrn, den Dahingeschiedenen in Frieden ruhen zu lassen; das Hinablassen des Sarges in das feuchtkalte Grab, auf dass die Trauernden erschüttert, heulend, gebrochen dem quietschenden Abwärtsfahren nachblickend, ihre gebückte Haltung wahren; schließlich das Nachschaufeln der Erde und Nachwerfen der Blumen,die allesamt wie die Trauernden bereits hoffnungslos die Köpfe hängen lassen.
Das Wunder des Lebens endet in einer Erdgrube, weil es aus dieser Erde einmal genommen worden sein soll. Wer kann sich anmaßen zu behaupten, er wisse, woher das Leben kommt? Eine kostenpflichtige Erdgrube ist höchstwahrscheinlich aber nicht der Ursprung aller Dinge, davon ist er überzeugt, der Willibald. Keinen Funken an Positivem kann er dieser Prozedur abgewinnen.
Und dann kommt alles anders.
Nicht dass er schön wäre, dieser gewaltige Trauerzug zu Ehren Eduard Pospischills. Entsetzlich ist es, denn gerade er, der Metzger, hat die ihm von Danjela Djurkovic zugewiesene Aufgabe, Trixi Matuschek-Pospischill auf dem langen Weg von der Auf bahrungshalle bis zur letzten Ruhestätte zu begleiten. Wer dann allerdings wen stützt, sei dahingestellt. Unglaublich gefasst ist sie, die Trixi, während der Metzger, begleitet vom unrein intonierten Trauermarsch der Polizeimusik, schwer damit zu kämpfen hat, nicht lautstark ins selbe Horn zu blasen.
»Wir schaffen das!«, flüstert sie wieder leise in sich hinein, die tapfere Witwe.
Endlos erscheint es ihm dann, dieses gewiss mitfühlende Kondolieren und weiß Gott was ins Grab Nachwerfen. Ein pensionierter Kollege entledigt sich dabei sogar eines Ordens, eine unbekannte Frau eines Briefes, was von besonderem Feingefühl der Witwe gegenüber zeugt.
Dennoch steht Trixi Matuschek-Pospischill fest auf beiden Beinen. All das erträgt sie mit direkt sanftem Gesichtsausdruck, gelegentlich sogar mit einem friedlichen Lächeln, was bei jedem die Frage aufwirft: »Welches Zeug hat die sich bloß eingeworfen?«
Das klärt Madame Matuschek-Pospischill nun im Vertrauen. Da stehen sie nämlich nur mehr im kleinen Kreis vor der Grube, der Metzger und die Djurkovic, die Moritz und der Kogler, die Widhalm und der Wollnar und die Trixi mit dem Totenbildchen des schelmisch grinsenden Eduard in der Hand: »Du Saukerl, du elender kleiner Saukerl, so einen Abgang kannst auch nur du hinlegen. Mit so viel versteckter Liebe und einer Rücksichtslosigkeit, die ihresgleichen sucht. Nur damit du nicht dabei sein musst, nur damit ich mir allein in die Hosen mach, wenn es die ersten Schritte unternimmt. Und wer bitte hilft mir, wer? Aber eines sag ich dir, Eduard tauf ich es nicht, wenn es ein Bub wird, unser Himmelsgeschenk, das schwör ich dir!«, offenbart sie mit Tränen in den Augen.
»Es ist ein Kommen und ein Gehen!«, hat seine Mutter immer gesagt, und obwohl der Metzger weiß, dass es, global gesehen, weitaus mehr ein Kommen als ein Gehen ist, vermag allein die Ankündigung eines Kindes den Schmerz über den Verlust eines nahestehenden Menschen zu lindern. Bittersüße Freudentränen sind es, die Eduard Pospischill von dieser ihm zu Ehren versammelten kleinen Gemeinschaft nachgeworfen werden. Und nichts anderes hätte er sich für diese Stunde gewünscht.
So steht er also am Grab seines Freundes, der Willibald, im Arm seine Danjela, und obwohl es nicht sie ist, die ihm gerade die frohe Botschaft verkündet hat, sieht er sich dennoch gerade im Geist hinter dem Fenster seines Gewölbekellers hervortreten, um am Spielplatz gegenüber seiner Werkstatt einem Kind nicht nur beim Schaukeln zusehen, sondern auch den dafür nötigen Schubser geben zu dürfen.
Die Kleine wird es lieben.
Weitere Kostenlose Bücher