Sie haben sich aber gut gehalten!
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M ama! Du musst Papa stoppen. Er will unser Haus verkaufen!»
Die Stimme von Charlie, meinem sonst so gelassenen Sohn, überschlägt sich vor Entsetzen. So, als wäre er keine fünfundzwanzig, sondern drei Jahre alt, und ich würde ihn auf der Autobahn aussetzen wollen.
Bis gerade eben saß ich noch gemütlich auf der Terrasse und blätterte in aller Ruhe durch die Prospekte verschiedener Wellness-Hotels in Heiligendamm. Ich will endlich meinen langverdienten Urlaub planen und gemeinsam mit meiner besten Freundin Suse ein paar schöne Tage an der Ostsee verbringen. Aber jetzt steht mein Ältester unangemeldet auf der Matte, und da ist es mit der Ruhe vorbei.
«Ich bin doch hier aufgewachsen», jammert er weiter, lässt sich in einen Stuhl fallen und nimmt sich ein Stück Kuchen. «Meine ganze Kindheit und all meine Erinnerungen stecken in diesen Mauern. In unserer Straße habe ich Radfahren gelernt, am Apfelbaum hängt noch immer meine Schaukel und … und … und überhaupt!»
Huch, was ist denn mit dem los? Fehlen nur noch die dicken Krokodilstränen, denke ich und mustere ihn irritiert. Mit jedem Jahr ähnelt er mehr meinem Exmann. Genauso sah Volker aus, als ich ihn kennenlernte: dunkelblonde Locken, knallblaue Augen mit dichten Wimpern und ein freches Grübchen-Lachen, das Mädchenherzen sofort höherschlagen lässt. Aber seit wann redet Charlie so pathetisch daher?
«Du konntest es doch gar nicht abwarten auszuziehen», erinnere ich ihn. «Auch deine beiden Geschwister lassen sich vermutlich erst an Weihnachten wieder hier blicken. Ich lebe seit über einem Jahr allein in diesem Haus.»
Dass ich mich dabei alles andere als schlecht fühle, behalte ich lieber für mich. Endlich kann ich auch mal an mich denken und muss nicht mehr hinter allen herräumen, täglich Berge von Wäsche erledigen oder Essen für fünf hungrige Mäuler kochen.
Charlie schiebt seine schlammfarbene Strickmütze noch etwas weiter in die Stirn. «Ach, Fabian und Juliane haben eben keine Ahnung, wie wichtig ein Zuhause ist», fährt er trotzig fort. «Denen ist das vielleicht egal, ob hier fremde Leute einziehen. Aber
ich
würde es nicht überleben.»
Ich staune. Woher die plötzliche Sorge um sein Zuhause? Früher galten unser Haus und die Gegend hier als oberspießig.
«Tja, so ist das eben, wenn man erwachsen wird», erkläre ich. «Dein Vater und ich haben das ausführlich besprochen und uns zum Verkauf entschlossen, weil … weil …»
«Na, da bin ich mal gespannt», brummt Charlie und spielt mit seinem Schal, den er wie seine geliebte Mütze trotz der frühlingswarmen Mailuft nicht ablegt.
Puh! Mich vor meinem Sohn zu rechtfertigen, fällt mir doch schwerer, als ich dachte.
«Also, du weißt ja, dass Papa das Haus von seinen Großeltern geerbt hat. Mittlerweile ist es über hundert Jahre alt und stark renovierungsbedürftig. Und genau da liegt das Problem. Man müsste beträchtliche Summen reinstecken, um es zu modernisieren. Doch so eine Grundsanierung ist teuer.» Ich sehe ihn streng an. «Wie du dir sicher vorstellen kannst, sind die Kosten dafür höher als für eine Gartenparty. Wir müssten also eine Hypothek aufnehmen. Aber uns erscheint es stattdessen wichtiger, dir und deinen Geschwistern ein Studium zu ermöglichen.»
«Und?» Charlies Miene bleibt gelassen, so als würde ihn das nicht betreffen und als würde er seinen Lebensunterhalt und auch die Kosten für das Studium selbst verdienen.
«Der Haken ist mein Versorgungsausgleich», erkläre ich geduldig.
Verständnislos blickt Charlie unter seinen langen Wimpern hervor. «Was ist das denn?»
«Nun, dein Vater und ich haben vor unserer Heirat keine Gütertrennung vereinbart», beginne ich. «Alles, was ihm gehört, gehört also auch mir und umgekehrt. Das nennt man Zugewinngemeinschaft.»
«Aha.» Charlie sieht mich an, als würde ich ihm gerade die Relativitätstheorie erklären.
«Euer Vater verdiente all die Jahre über nicht schlecht. Und
mein
Job war unsere Familie, eure Erziehung und das ganze Drumherum», erkläre ich ruhig. «Und für diese jahrelange Arbeit steht mir die Hälfte des Zugewinns zu. Also alles, was Volker und ich während unserer Ehe gemeinsam erwirtschaftet haben.»
«Also auch die Hälfte des Hauses», resümiert Charlie naseweis und vergräbt die Hände in den Taschen seiner ausgewaschenen Jeans. «Da seid ihr euch wohl ausnahmsweise mal einig, was?» Er grinst frech.
Schon im Kindergarten wusste
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