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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Matuschek zu schnappen, sie zum Essen auszuführen und ihr anschließend zu zeigen, warum sie auch noch Pospischill heißt.

55
    Panisch wirft der Metzger die Tür zu und läuft zum Schwesternzimmer:
    „Wo ist Frau Djurkovic? Was ist passiert?“
    Eine korpulente Schwester erhebt sich mit weichem Blick, meint freundlich „Kommen Sie!“, hakt sich beim völlig erbleichten Willibald Adrian ein und führt ihn über den Gang in ein weiter hinten gelegenes Zimmer.
    „So was haben wir noch selten erlebt. Um etwa drei Uhr nachts sind bei ihr erhöhte Herzaktivitäten registriert worden. Es gibt kein Rezept und kein Gesetz für das Aufwachen aus dem Koma. Manche schreien und brauchen Tage, bis sie geistig wieder ganz in der Gegenwart sind, manche kommen auch nie zurück, und manche erledigen alles in einem aufgewühlten Schlaf. Wir erkennen das am Herzschlag und den heftigen Pupillenbewegungen.
    Wir haben sie sofort zur intensiveren Beobachtung in das Aufwachzimmer verlegt und dann bei Ihnen zuhause angerufen, mitten in der Nacht, zeitig am Morgen und kurz nach Mittag!“ Etwas schulmeisternd wird ihr Blick, dem auch ebensolche Worte folgen.
    „Sie sollten sich ein Handy zulegen!“
    Dann setzt sie fort:
    „Vor einer Stunde hat sie zum ersten Mal die Augen geöffnet, und das Wunder ist: Sie hat sofort gesprochen!“
    „Was hat sie gesagt?“, der Metzger ist ganz aufgeregt.
    „Dass sie Hunger und Durst hat! Erstaunlich, oder? Wir konnten es selbst nicht glauben. Sie hat auch Ihren Namen genannt und gefragt, wo Sie sind, stellen Sie sich das vor. Ich würde vorschlagen, Sie gehen zu ihr und schauen, ob sie auch wirklich Ihr Gesicht erkennt! Dann wissen wir, wie es geistig um sie steht!“
    Den Metzger erfasst dieselbe Aufgeregtheit wie damals. Ein kleiner Junge an der Hand seines Vaters, kurz vor dem Eintreten ins Krankenzimmer zu seiner Mutter, in deren Armen ein kleines Schwesterchen liegen sollte. Das waren die schönsten Momente seines Lebens, der Anruf aus dem Spital, die gemeinsame Taxifahrt auf dem väterlichen Schoß und dieser kleine Augenblick vor dem Eintreten, erfüllt von der Gewissheit, nicht mehr allein sein zu müssen.
    Was danach folgte, blieb ihm als ewige Wunde eingraviert. Im Zimmer lagen weder Mutter noch Schwester. Die Mutter war verlegt, die Schwester zurückgeholt worden, zu den Engeln, wie die Hebamme es damals dem kleinen Willibald erklärte, denn der Vater fand keine Worte mehr. Nur wenige Stunden waren ihr genug gewesen auf dieser Welt. Genug, um der zurückgelassenen Familie auf immer und ewig in Erinnerung zu bleiben.
    Wie ein Bündel Brennholz fühlt er sich, der Metzger, denn er weiß nicht, ob ihn nun der Ofen oder die Axt erwartet, ob er entflammt wird oder wie einst gespalten.
    Er klopft, und ohne zu warten öffnet er die Tür, lauscht, tritt ein, geht langsam ans Bett und beugt sich über seine Danjela.
    Aus den Ritzen der Mullbinden betrachten ihn müde, aber wache Augen. Zögernd, so als müsse zuerst ein Schmerz überwunden werden, zieht sich der rissige Mund zu einem feinen Lächeln und gibt ein sanftes „Willibald!“ von sich.
    Dann weint er, der Metzger. Die ganze Anspannung der letzten Tage entlädt sich in einem Schwall an Tränen, ergießt sich über sein zerknittertes Hemd, als wäre es eine der durstigen Topfpflanzen in Danjelas Wohnung.
    Er weint und lacht zugleich, während leise von unten Danjelas Stimme an sein Ohr dringt.
    „Na, bist du geworden gesund? Globuli wirkt immer“, wodurch sich sein Tränenfluss allerdings nicht verringert.
    Diese Tränen werden Danjela in Zukunft mehr bedeuten als irgendeine Phrase, eine abgedroschene Liebesbekundung oder das Ausbleiben derselben.
    Und das müssen sehr ausgiebige Liebesbekundungen sein, denn so lange steht der Metzger wie ein Firmling vor dem Bett und hört nicht auf mit diesem Weinen. Wenn sie könnte, würde sie ihn jetzt umarmen, nur das kann sie leider nicht, die Danjela. Genauso wenig wie die Beine bewegen oder überhaupt den Körper.
    Willibald Adrian umfasst ihre Hand.
    „Was machst du bloß für Sachen!“
    Hinter ihm ist ein junger Arzt aufgetaucht:
    „Dr. Kundmann. Guten Tag. Na, Sie sind ja ein kleines Wunder, Frau Djurkovic. Da haben Sie Ihren Schutzengel gewaltig auf Trab gehalten. So einen hätte ich auch gern, das können Sie mir glauben. Das wird aber alles noch dauern, bis Sie wieder Kontrolle über Ihren Körper haben!“
    „Wird nix geben Globuli, dass ich wieder komm schnell auf die Beine,

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