Der Metzger sieht rot
verbarrikadieren, wie sich das Außen gegenüber den Gettos verbarrikadiert.
Was tun, wenn also die leer stehenden Nachbarwohnungen der Vorstadtsiedlungen mit Flüchtlingen, Asylanten, Arbeitssuchenden besiedelt werden, wenn einem also schlagartig das bewusst wird, was man ohnedies schon die ganze Zeit geahnt hat. Abgeschobensein im eigenen Land! Der Staat ist unsichtbar, auf den kann man nicht hindreschen. Naheliegend, sich genau jene zu suchen, die nichts für die ganze Misere können, aber wenigstens sichtbar sind, nicht Deutsch können und von vornherein die Hosen voll haben!
Das ist aber jetzt noch nicht das Gröbere, sondern der sozialpolitische Alltag dieses Landes. Grob ist, wenn die Gedroschenen zurückdreschen, das bitte ist nicht vorgesehen.
Nachdem also ihr Bruder mit seiner Bande der Reihe nach, anfangs nächtens, später tagsüber im Gebüsch, schließlich auch tagsüber mitten auf dem Spielplatz, vorwiegend Schwarzafrikaner bis zur Unkenntlichkeit einem gesichtschirurgischen Eingriff der anderen Art unterzogen hatte, waren die dunkelhäutigen Burschen irgendwann so weit, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
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Das Stadion schien wie ein Konzertsaal während einer Vorstellung. Jedes Hüsteln wäre zu hören gewesen. Das hektische Getümmel auf dem Spielfeld, der Zustrom aller Betreuer, die Verzweiflung der Spieler, das Hantieren des Ärzteteams und die vergeblichen Wiederbelebungsversuche, all das konnte die Zuschauer aus ihrer Erstarrung nicht befreien. Erst als der leblose Körper von Kwabena Owuso auf die Bahre gehoben wurde, ging ein Raunen durch die Menge. Jetzt war es offiziell, auch der Tod hat diesmal seine Eintrittskarte ins Stadion gelöst, und neben jedem in diesem Oval hätte er Platz nehmen können.
Langsam leeren sich die Bänke. Und während eine Kolonne, ähnlich wie bei einem Staatsbegräbnis, gesittet und flüsternd die Zuschauerränge verlässt, bleiben der Metzger und die Djurkovic noch ein Weilchen sitzen. Beide den Blick starr Richtung Rasen gerichtet.
Jetzt betreiben die Danjela und der Willibald ihre Zweisamkeit grundsätzlich nicht auf besonders redselige Art und Weise, Worte sind eher dazu gedacht, das Schweigen zu überbrücken, diese wohlige Stille, die sich zwischen ihnen derart zufrieden und selbstlos auszubreiten vermag.
Nur so viel Stille, wie es im Augenblick braucht, das braucht auch seine Zeit. Und so sitzen sie beieinander, gelegentlich ein langes Seufzen über die Unglaublichkeit des eben Erlebten, ein Über-den-Oberschenkel-des-Partners-Streichen – eine Umarmung wäre da schon zu viel gewesen – und hin und wieder ein Übergeben des Bechers mit abgestandenem Bier zwecks Mundbefeuchtung. Mehr nicht. Keine Worte.
Den Metzger fröstelt, er nimmt eine der zahlreich auf dem Boden herumliegenden Zeitungen und steckt sie unter sein Hemd zwischen Rücken und Hosenbund, ohne den Blick von der Rasenfläche zu lösen, deutet mit einem weiteren Exemplar Richtung Danjela, die dann seinem Beispiel folgt und, nun ebenfalls am Rücken durch eine Zeitung gewärmt, dem Metzger ein zartes Lächeln, kombiniert mit dem so vertrauten Über-den-Oberschenkel-Streichen zuteil werden lässt.
Der Rasen übt direkt hypnotische Wirkung aus, und langsam drängen sich vereinzelte Bilder aus Willibalds Zwangserfahrungen rund um das Thema Fußball ins Gedächtnis, wie Promis vor laufende Kameras – vorwiegend Abziehbilder. Denn noch gut erinnert sich der Metzger an die Pickerlsammelwut seiner Mitschüler während diverser Welt- oder Europameisterschaften, an die Tauschorgien in den Pausen, an die Bestechungsversuche auf den Toiletten, an die Plünderungen diverser Schultaschen sich gerade auf der Toilette befindender Sammelkonkurrenten, auf die durch Unterdrückung des folgenschweren Harndranges hervorgerufene reizbare Stimmung im Klassenraum, an den Geruch, der durch das Öffnen einer neuen Packung unweigerlich den gesamten Klassenraum in Beschlag genommen hat, an die stolze Präsentation beinah gefüllter Alben, an die friedliche Stille nach gekürten Welt- und Europameistern. Das Einzige, was der Metzger zur Schulzeit gesammelt hat, waren schlechte Erfahrungen. Aber Pickerl? Da hat man ja längerfristig von schlechten Erfahrungen mehr.
Die Annahme, Willibalds Berufswahl Restaurator hätte ihn vor weiteren Abziehbildern befreit, unterliegt einem groben Irrtum. Weil heute noch picken wie das Amen im Gebet dann, wenn Fußballgroßveranstaltungen die Welt lahm legen wie eine
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