Contes de Fees Maerchen
Nachwort des Übersetzers
Charles Perrault (1628–1703) war der Sohn eines Advokaten am «Parlement de Paris», dem höchsten Gericht des Königreichs, und ein Bruder des Schöpfers der Louvre-Kolonnade, Claude Perrault. Er wurde zunächst Advokat wie sein Vater, erhielt dann aber die gekaufte Stelle eines Steuereinnehmers, die ihm viel Zeit für seine schriftstellerischen Ambitionen ließ, und gehörte ab 1664 zum Mitarbeiterstab Colberts, des großen Finanzministers Ludwigs XIV., wiederum eine Position, die Ansehen und Geld, aber nicht übertrieben viel Arbeit brachte. Seine zahlreichen Dichtungen interessieren heute nur noch den Literaturhistoriker, und obwohl jeder französische Oberschüler ihn als den Gegenspieler Boileaus in dem Streit der «Anciens» und «Modernes» kennenlernt, in dem sich Frankreichs Dichter jahrelang mit Epigrammen und Hofintrigen befehdeten, hätte sein Name keinen Klang in der Welt – wären nicht die Märchen, die in unserem Buch versammelt sind.
1697 erschienen sie ohne Angabe des Autors, verlegt bei «Claude Barbin, sur le second perron de la Sainte-Chapelle, au Palais, avec privilège de Sa Majesté», unter dem Titel «Histoires ou Contes du Temps Passé, avec des Moralités». Sie waren – wie damals üblich – einer hochmögenden Person in ergebenen Wendungen gewidment, und zwar «Mademoiselle», also Elisabeth Charlotte d’Orléans, der Tochter von «Monsieur» (Philippe, Duc d’Orléans, Bruder Ludwigs XIV.) und «Madame», der berühmten Liselotte von der Pfalz. «Mademoiselle» war einundzwanzig Jahre alt und seit kurzem mit dem Herzog von Lothringen und Bar vermählt.
Die Widmung trug nicht Perraults Unterschrift, sondern die seines Sohnes: P. (= Perrault) Darmancourt. Seitdem sind die Gelehrten sich uneins, ob der Sohn (der damals neunzehn Jahre alt war und bald darauf als königlicher Leutnant den Tod fand) die Märchen verfasst, ob der Vater ein unvollkommenes Manuskript des Sohnes überarbeitet oder ob der Siebzigjährige die Märchen geschrieben und unter dem Namen seines Sohnes gewidmet hat, weil der junge Mann die Protektion von «Mademoiselle» nötiger brauchte als er.
Wie dem auch gewesen sein mag – die Zeitgenossen waren überzeugt, dass der alte Perrault der eigentliche Urheber sei. Schließlich hatte er schon 1694 drei Märchen in gereimten Versen veröffentlicht: «Griseldis», «Les Souhaits Ridicules» und «Peau d’Ane». 1698, also ein Jahr nach dem Erscheinen der Prosamärchen, kam in Holland ein unerlaubter Nachdruck der «Contes» heraus. So etwas war damals ja an der Tagesordnung. Als Verfasser war «le fils de M. Perrault» genannt, und bald kamen Ausgaben, in denen der Hinweis auf den Sohn überhaupt wegfiel.
Bei dem holländischen Nachdruck übrigens erhielt das Werk einen anderen Titel, unter dem es später häufig erschien: «Contes de ma mère l’oie», also wörtlich «Märchen von der Mutter Gans». Das rührt von einer Redensart her, die man früher für eine ganz alte und unglaubwürdige Geschichte benutzte: «das ist ein Märchen aus der Zeit, als die Königin Bertha noch spann». Bertha war die Frau des Königs Robert II., des Frommen, und hatte den Beinamen «au pied d’oie», «mit dem Gänsefuß»; ihr Attribut wurde vom Volk auf die durch Epos und Sage bekannte Mutter Karls des Großen übertragen, die auch Bertha geheißen hatte. Die Märchen haben also nichts mit dem Vogel Gans zu tun, sondern stammen einfach «aus sagenhafter Zeit».
Tatsächlich hat Perrault sie zwar gestaltet und ausgeschmückt, aber nicht erfunden. Die Motive waren vorhanden, entweder im Volk von den Ammen und Müttern weitergetragen oder schon als Stoffe in gedruckten Sammlungen veröffentlicht, vor allem in Italien. [Ausführliche Hinweise auf Vorläufer und Parallelen enthalten die Anmerkungen in Charles Perrault: Contes de Ma Mère Loye, texte établi, annoté et précédé d’un avant-propos par André Coeuroy. Paris, Editions de Cluny, 1948.] Das nimmt ihnen weder an Reiz noch an Wert; denn Perrault ist der erste, der sie für Kinder und nur mit einem gelegentlichen Seitenblick auf den Geschmack der Erwachsenen erzählt. Vater Perrault kümmerte sich, was damals sehr selten war, intensiv um die Erziehung seiner Kinder. Und Märchen, die seine Zeitgenossen für unwesentlich und für eine Frauenangelegenheit hielten, waren ihm wichtig genug, sie als Dichter zu formen und in Druck zu geben.
Er war aber im Gegensatz zu den Brüdern Grimm kein
Weitere Kostenlose Bücher