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Der Ministerpräsident - ein Roman

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Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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der bin, der hier liegt, sondern ich ein ganz anderer bin, der gar nicht wirklich hier ist, sondern ganz woanders ist, und dass an meiner Stelle womöglich ein anderer liegt, der in der Tat der Mann seiner Frau ist oder wenigstens der Mann seiner Frau sein könnte … Doch März winkte ab.
    Ich sagte ihm, dass meine Frau mir völlig fremd sei.
    Dass das nicht entscheidend sei, so März. Dass viele Frauen ihren Männern fremd seien. Dass das normal sei. Dass sie, meine Frau, mir früher, vor meinem Unfall, womöglich auch schon fremd gewesen sei, so März. Ohne dass ich das gemerkt hätte. Oder mich das gekümmert hätte. Was habe sich dann geändert. Sie war mir früher fremd, und sie ist mir heute fremd. Wo ist der Unterschied.
    Als ob ich sie noch nie gesehen hätte. So erschien sie mir, wenn sie in meine Nähe kam. Als ob ich sie noch nie gesehen hätte. Und als ob ich sie schon immer gesehen hätte. Und ich wusste nicht, was mich mehr befremdete: immer oder nie. Und März erwiderte, dass das in einer Ehe normal sei, immer und nie. Man müsse das hinnehmen, immer und nie. Eine Ehe sei kein Wunschkonzert.
    Ich: Dass ich viel lieber mit Lena verheiratet wäre.
    März: Wer das sei?
    Eine Pflegerin namens Lena. Dass sie oft lacht. Und mich anschaut. Und meine Hand berührt. Und mir erzählt. Und dass manchmal ihr nackter Rücken zu sehen ist, wenn sie sich bückt. Dass er mit voller Absicht zu sehen ist, weil es ein wunderschöner Rücken ist. Und dass ihr das nichts ausmacht, wenn ich ihren wunderschönen Rücken immer wieder betrachte. Und dass sie sich manchmal über mein Bett beugt und dabei mein Mund fast ihren Hals berührt …
    Dass das absurd sei. Und unmöglich, erwiderte März.
    Warum?
    Dass meine Frau, Stefanie, schon seit Jahren an meiner Seite stehe, so März. Dass sie der Öffentlichkeit ein Begriff und ein Bild sei. Ein Inbild der Übereinstimmung und des Zusammenseins. Dass sie es gewesen sei, die mich all die Jahre begleitet und gefördert habe. Dass sie über die Nachricht meines Unfalls derart erschüttert gewesen sei, dass sie stundenlang nichts hatte sagen können.
    Sie warte unten im Klinikpark auf mich.
    Es sei nun genug, sagte Frau Wolkenbauer, die ins Zimmer kam. Er möge sich bitte zurückhalten. Er lasse mir zu wenig Ruhe und Zeit. Und sie fügte hinzu: Wenn er sich an seine Frau nicht erinnern kann, dann muss man das eben hinnehmen.
    Hinnehmen?
    Jawohl, hinnehmen.
    Wie man so etwas hinnehmen könne, so März, seine Frau nicht mehr wiederzuerkennen. Und er erklärte ihr, was ich meiner Frau alles zu verdanken habe. Dass ich ohne meine Frau das, was ich alles erreicht hatte, womöglich gar nicht erreicht hätte. Dass ich ohne meine Frau nicht der wäre, der ich jetzt nun sei. Und Frau Wolkenbauer fragte: Wer ist er denn?
    Wie bitte?
    Wer ist er denn?
    Und März lief auf und ab und sagte, dass meine Frau konsterniert und ohne Worte sei. Dass der politische Schaden eines solchen Vorgangs erheblich sei. Dass die Opposition das zu einem Thema machen könnte. Ob man mich nicht entschiedener behandeln könne, und Frau Wolkenbauer antwortete: Man behandle mich bereits mit aller Entschiedenheit. Falls er das noch nicht bemerkt habe.
    Und sie erklärte ihm: Dass es Fälle meiner Art immer wieder gebe. Man nenne das systematisierte Amnesie. Ein kategorisches Ausklammern von Menschen und Ereignissen. Aus welchen Gründen auch immer.
    März: Ob ich nicht wenigstens so tun könne, als ob ich meine Frau wiedererkenne.
    Und Frau Wolkenbauer erwiderte: Er möge sich nicht ständig einmischen. Oder auf mich einreden. Oder mich mit meiner Frau bedrängen. Dass seine Ratschläge – gelinde gesagt – nicht produktiv seien. Dass er meinen Zustand falsch einschätze. Dass, wenn er so weitermache, ich meine Frau in der Tat nie mehr wiedererkennen würde.
    März wirkte nun kleinlaut und devot. Er entschuldigte sich und sagte – wie zu unserer beider Rechtfertigung: Er werde sich von dem Eindruck nicht abbringen lassen, dass ich auf dem Wege der Besserung sei. Dass ich in manchen Dingen sogar weiter als vor dem Unfall sei, zum Beispiel mit meinem Englisch – dass ich bald wieder der Alte sei. Es fehlten nur noch Details.
    Am nächsten Morgen brachte Frau Wolkenbauer mein Notizheft. Sie gab mir Hausaufgaben. Ich sollte aufschreiben, an welche Frauen in meinem Leben ich mich erinnern konnte. Ich konnte mich an so gut wie keine Frau erinnern. Und Frau Wolkenbauer fragte, was das heiße, die beiden Wörter so gut .

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