Der Ministerpräsident - ein Roman
und trug. Wenn wir zusammen in einer Rast saßen und sie mit ihrer Hand einen Reifen betastete. Oder wenn sie sich neben mein Fahrrad legte und dann einschlief – mit einer kleinen Berührung: ihrer Hand, ihres Haars, ihres Arms …
Von meinem Bett aus sah ich die Berge. Noch einen letzten Rest von Bergen – bevor ein Arzt kam und über Erinnerungen sprechen wollte. Nicht so sehr über Erinnerungen, die ich hatte, als über Erinnerungen, die ich nicht mehr hatte. Und ich sagte ihm, dass mich diese Erinnerungen nicht interessieren. Sie seien langweilig und belanglos, die Erinnerungen, die ich nicht mehr hatte. Ich sagte ihm: Es interessieren mich nur noch die Erinnerungen, die ich habe. Nur diese Erinnerungen interessieren mich. Es interessieren mich meine Erinnerungen an Hannah. Diese Erinnerungen interessieren mich.
Ich lag Tag und Nacht mit ihnen.
Ich fragte März nach einem Foto von Hannah, und er sagte, er werde sich darum kümmern. Er werde sicher irgendwie und irgendwo ein Foto von ihr beschaffen können. Wenn mir das so wichtig sei. Ja, es ist mir wichtig, sagte ich. Doch er sprach nie wieder von diesem Foto. Und auch ich sprach nicht mehr von ihm.
Manchmal hörte ich einzelne Bemerkungen von ihr. Was das Wort Utopie bedeute? Es bedeute noch nicht, doch nicht und nicht mehr. Deshalb hatte sie immer weiter gewollt. Deshalb hatte sie gar nicht mehr absteigen wollen. Noch nicht, doch nicht, nicht mehr.
Manche Sätze sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, so als würde sie noch neben mir liegen.
Wie soll man das nennen, hatte Hannah einmal gefragt. Wie soll man das nennen, was wir gemacht haben. Und ich hörte das Wort Ausflug. Wir machen einen Ausflug – und ich erschrak über das Wort Flug.
Dann sollten wir uns auf den Weg machen. Zu unserem Hubschrauber, der auf dem Dach der Klinik wartete und der uns nach Deutschland fliegen würde. Zurück in die Politik. Zurück in den Wahlkampf. Es sei, so März, höchste Zeit. Als ich die ersten Meter zum Aufzug ging, bemerkte er, dass ich kaum mehr hinken würde. Ich nickte. Ich hatte das schon während der letzten Tage mit Hannah gemerkt, dass ich immer weniger hinkte. Und März schaute mich dankbar an und sagte: Er freue sich darüber.
Joachim Zelter
Die Welt in Weiß Betrachtungen eines Krankenhausgängers und andere Vorkommnisse
124 Seiten,
gebunden mit Schutzumschlag
»Geballte Erfindungskraft: Eine wortathletische ›Tour de vie‹ voller Komik.«
Neue Luzerner Zeitung
»Ein Meister des magischen Humors, ein Wortmagier mit unwiderstehlicher Fabulierfreude und Sprachkraft. Unbedingt lesen!« Südwestrundfunk
»Extra ein Buch für uns Hypochonder! Genau darin liegt die Meisterschaft Joachim Zelters: Dass er im Komischen das typisch Menschliche, Endliche, Tragische aufspürt.« Süddeutsche Zeitung
KLÖPFER & MEYER
Manfred Zach
Monrepos oder Die Kälte der Macht
Roman
495 Seiten,
9. Auflage als Sonderausgabe, Hardcover mit Lesebändchen
»Ein Schlüsselroman übers Innenleben und Binnenklima in einer Schaltzentrale demokratischer Macht.« Der Spiegel
»Wie Politik funktioniert: ja, so ein Buch will man auch aus dem Kanzleramt gern lesen. Aber bitte so gut geschrieben wie dieses.« taz/Die Tageszeitung
»Drinnen trippelt die Intrige: Ein Roman, der selbst denjenigen Freude beim Lesen bereiten müsste, die Politik sonst langweilt.« Die Zeit
»Ein bemerkenswertes Buch!« Frankfurter Rundschau
KLÖPFER&MEYER
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