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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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die Seekrankheit wünscht, ist ein Gemüt.
    Führt man ein
Reisetagebuch,
    so giebt man Beweise von klassischer Bildung am bequemsten dadurch, daß man in den verschiedenen Städten sich der Stücke, die man gesehen hat, erinnert und daraus Betrachtungen herleitet. Etwa wie folgt:
    In Verona: Mir war's, als hörte ich die Lerche und nicht die Nachtigall in dieser Stadt Amors singen, als ich durch die Straßen ging, und in jeder glaubte ich Romeo zu sehen, wie er hastig nach dem Klostergarten eilte, um mit Bruder Lorenzo zu sprechen.
    In Venedig: Wie glücklich bin ich in dieser Stadt, obschon ich darin die elektrische Straßenbahn schmerzlich vermisse! Aber plauderte da nicht Shylock mit Tubal über das gute Geschäft, das er mit Antonio zu machen gedenkt, indem er für dreitausend Dukaten ein Pfund Fleisch bekommen wird? Ja, und dann machen die beiden vor Othello Front, der zu seiner Desdemona geht, bei der er Jassica und Porzia finden wird.
    In Genua: Eben weilte ich an der Stelle, wo Fiesko ins Wasser gestoßen wurde und den Tod fand. Vielleicht stand da auch einst Kolumbus und blickte über die Wasserfläche nach der Gegend, wo er Amerika zu entdecken hoffte. Welch eine Fülle von Gedanken bestürmte meinen Geist!
    In Madrid: Hier also ging einst die Sonne nicht unter. Nun, auch heute existiert hier noch kein rechtes Nachtleben, wie in Berlin. Das sagte ich eben – nachts 11 Uhr – als ich nach dem Hotel ging. Morgen wollen wir nach Aranjuez, obschon dort die schönen Tage nun zu Ende sind. Aber öfter noch als an den Karlos, der den genannten Ort nicht heiterer verließ, denke ich an den gleichnamigen Freund Clavigos, den Archivarius des Königs. Woran mag das wohl liegen?
    Diese wenigen Sätze werden vielleicht genügen, um zu zeigen, wie lohnend die Bekanntschaft mit unserem klassischen Repertoir für ein Reisetagebuch zu verwenden ist.
    Es ist jetzt nicht gut möglich, vom Sommer zu sprechen, ohne der
Maifeier
    zu gedenken, welche die sozialdemokratische Partei seit einigen Jahren am ersten des, wenn es nicht kalt ist, wunderschönen Monats begeht und jetzt darin besteht, daß sich eine große Anzahl Arbeiter weigert, nicht zu arbeiten. Es finden an diesem Tage für die Arbeiter, welche feiern, Volksversammlungen statt, in welchen von den Agitatoren Reden gehalten werden, welche die Arbeiter anzuhören haben. Und das soll keine Arbeit sein? Ist man ein vernünftiger Arbeiter, so wird man antworten: Na ob!
    Will man als sozialdemokratischer Agitationsredner den Arbeitern eine schöne Maifeier bereiten, so sage man ihnen, es sei nun bereits mehr als genug geschwätzt, dann halte man den Mund, schweige, rede keine Rede und schließlich sei man stumm. Hierauf lasse man die Arbeiter ungestört in die Werkstatt gehen und wie wir alle arbeiten, weil dies besser bezahlt wird als das Anhören von Agitationsreden, wofür man keine Semmel für die Kinder kaufen kann.
    Selbst nicht die bestgesungene Arbeitermarseillaise baut den Kindern Häuser, sondern nach Jes. Sir. 3, 11 des Vaters Segen. Aber das Anhören von Agitationsreden ist kein Segen.
    Außer der Maifeier finden in diesem Monat die
Maikäfer
    statt, welche sehr schädlich sind. Man findet sie überall, wo sie nicht sein sollen, und sie erscheinen alle drei oder vier Jahre in großer Masse. Leider hat sich ihnen noch nicht die Sammelwut wie den Marken, Liebigbildern und Postkarten zugewendet, was wohl darin seinen Grund hat, daß der Sport der Maikäfersammler ungemein nützlich wäre. Man hat berechnet, daß, wenn alle Markensammler statt der Marken Maikäfer sammelten und einer immer wenigstens eine mit Maikäfern gefüllte Cigarrenkiste mehr als der andere aufzuweisen suchte, das sogenannte Maikäferjahr völlig unschädlich vorübergehen würde.
    Ist man sehr human, so tritt man dem Maikäferhandel kräftig entgegen, welcher von jungen Spekulanten auf offener Straße getrieben und allgemein als Tierquälerei gebrandmarkt zu werden pflegt. Man wird den Handel zwar nicht vernichten, aber sagen können, daß man human gewesen, oder versucht hat, zu beweisen, daß man die Fahne der Humanität hochzuhalten oder zu schwingen bestrebt ist. Aber nützlicher würde man sich machen, wenn man in die Firma der Maikaferhändler einträte und mit ihnen die Zahl der schädlichen Kerbtiere verminderte, und man wäre dann nicht nur nützlich, sondern auch human gewesen.
    Geht man mit einer Dame spazieren und erbleicht sie mit einem Schrei des Entsetzens aus gepreßtem

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