Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
der Angreifer. Und dieser Trupp war deutlich in der Unterzahl. Die Schlachtreihen der schweren Infanterie waren noch fern, hatten noch nicht darauf reagiert, dass der Widerstand in der Bresche abrupt abgebrochen worden war. Er sah noch etwas Anderes, das ihn interessierte: Mitten unter dem schnellen Voraustrupp befand sich eine junge Frau in einer Art Rollstuhl. Ihm war sofort klar, um wen es sich handeln musste. Die Verteidiger waren nicht ohne Informanten in den besetzten Stadtteilen. Längst wussten sie, dass Verenas Gefährtin Mira die feindlichen Truppen als versklavte Malerin begleitete, und auch ihre Verkrüppelung war bekannt.
Es fühlt sich jedes Mal seltsam an, jemanden aus meiner Heimat zu sehen. Hier gibt es viele Menschen, die ich gut kenne. Sie sterben oder werden versklavt. Trotzdem erscheint mir die Befreiung dieser Mira, die ich nie kennengelernt habe, für meinen persönlichen Seelenfrieden wichtiger, als alles Andere zu sein.
Viel Zeit blieb nicht für solche Gedanken. Wenige Herzschläge später schlug Stahl auf Stahl. Die meisten von Konstantins Mitstreitern hatten keinerlei Kampferfahrung. Aber sie fielen immer mindestens zu viert über die Elitesoldaten vor sich her, und das reichte dann doch, sie sofort in Bedrängnis zu bringen. Der Blutzoll, den sie zu entrichten hatten, war hoch.
*
Bernd fluchte. Er hatte gleich ein ungutes Gefühl gehabt, und tatsächlich war sein Voraustrupp, der verängstigte, fliehende Gegner in Unordnung versetzen sollte, Ziel eines Hinterhalts geworden. Seine Männer fielen einer nach dem anderen. Scheiße, scheiße, scheiße! Mir doch egal, ob wir noch viele von diesen Stümpern hier mitnehmen können! So lange die wie besessen Kämpfen, bekommen wir keine Gelegenheit, uns zur schweren Infanterie zurückzuziehen. Wir werden alle sterben, wenn ich nicht den Anführer ausschalten kann ….
Da sah er ihn. Den Kerl mit der Lederrüstung und der Sucherschärpe, der immerzu Befehle rief: „Weiter, macht sie fertig!“ Das war kein ausgeklügeltes, taktisches Kommando, doch es brachte die Leute dazu, trotz hoher eigener Verluste nicht daran zu denken, sich dem Kampf zu entziehen. Bernd stürmte wütend auf den Mann los. Zwei seiner Leibwächter hielten ihm die Flanken frei.
Der Kerl ist nicht einmal ein geschickter Kämpfer, warum folgen diese Leute ihm?, dachte Bernd. Er stürmte auf den Mann zu, der dieser Bewertung zum Trotz gerade seinen bisherigen Gegner niedergeschlagen hatte. Sofort machte sich in Bernd noch ein anderes Gefühl breit. Er wusste nicht, woher ihn diese Erkenntnis ereilte, doch irgendwie war er sich plötzlich gewiss, hier keinen Einheimischen vor sich zu haben. Dieser Mann kommt von der Erde!
Um ein Haar hätte Bernd vergessen, sich zu wehren, als der Fremde, mit der schweren Axt seinerseits auf ihn zustürmte.
Ein großes Gefühl der Leere überkam Bernd. Dennoch erhob er sein Schwert und trennte dem Heranstürmenden fast beiläufig den rechten Arm ab.
„Rettet die Frau im Rollstuhl! Rettet Mira!“, schrie der Kerl im selben Moment. Das war sein letztes Kommando, bevor er zu Boden fiel.
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Vilana sah Constantin stürzen. Der nächste Hieb des verhassten Barbaren Xernd, dessen Steckbrief schon so lange überall aushing, würde Constantins Kehle treffen. Der Hinterhalt würde sofort zur wilden Flucht werden, da konnten sie noch so sehr im Vorteil sein.
Was ist das? Xernd der Schlächter befiehlt den sofortigen Rückzug? Kein Hieb um Constantin den Rest zu geben? Jetzt tritt er neben diese Mira. Ist es ihm so wichtig, sie wieder mit heimzubringen?
*
Irgendwie konnte Bernd dem anderen Erdenmenschen nicht die Kehle durchschneiden. Es kam ihm vor, als wäre dieser Mann der einzige richtige Mensch, dem er in den letzten Jahren begegnet war. All die anderen, die er getötet oder gefoltert hatte, kamen ihm vergleichsweise unwirklich vor. Wie Wesen aus einer anderen Welt. Was sie natürlich für mich auch sind.
Objektiv betrachtet waren die Bewohner H´Veredys nicht weniger menschlich als dieser Mann hier oder irgendwer sonst von der Erde. Aber für Bernd machte es einen gewaltigen Unterschied, wenn er auch nicht hätte sagen können, wieso. Er trat neben die derzeit unbewachte Mira. Ich sollte sie mitnehmen. Das wäre jetzt nichtmehr wirklich ein Problem. Ja ich … ach was soll’s!
„Mira! Ich kann dich nicht mitnehmen, ohne meine Leute zu gefährden.“
Mira ist rotzfrech, aber nicht blöd. Sie weiß so gut wie ich, dass das
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