Der Mord zum Sonnntag
danach fingen die Alpträume an. Mike, die Platte ist vor
’ner Ewigkeit aufgenommen worden. Die Sänger sind
mittlerweile wahrscheinlich alle tot. Und ich habe
wahrhaftig gelernt, wie das mit der Tontechnik läuft.
Vielleicht kommt doch alles wieder in Ordnung.»
«Darauf kannst du jede Wette eingehen.» Mike stand auf
und ergriff ihre Hand. «Bist du bereit, die Probe aufs
Exempel zu machen? Unten ist ein Kohlenkeller. Ich
möchte gern, daß du mit mir runterkommst und dir den
Verschlag ansiehst.»
Lauries Augen blickten angstvoll, dann biß sie sich auf
die Lippen.
«Laß uns gehen», sagte sie.
Mike beobachtete Lauries Gesicht, als sie sich im Keller
umschaute. Dabei wurde ihm klar, wie verwahrlost er war.
Die einsame Glühbirne, die an der Decke baumelte. Die
vor Feuchtigkeit glänzenden Hohlziegelwände. Der
Zementstaub vom Fußboden, der an ihren Hausschuhen
haftenblieb. Die Betonstufen, über die man zu den beiden
Metalltüren gelangte, die auf den Hinterhof führten. Der
verrostete Riegel, mit dem sie verschlossen waren, sah
aus, als wäre er seit Jahren nicht mehr zurückgeschoben
worden.
Der Verschlag grenzte an den Heizkessel an der
Vorderseite des Hauses. Mike spürte, wie sich Lauries
Nägel in seine Handfläche gruben, als sie ihn ansteuerten.
«Wir haben praktisch keine Kohlen mehr», erklärte er.
«Ein wahres Glück, daß heute welche geliefert werden
sollen. Sag mir, Schatz, was siehst du hier?»
«Einen Verschlag. Bestenfalls ungefähr zehn Schaufeln
Kohle. Ein Fenster. Ich erinnere mich, wie sie damals die
Rutsche des Lieferwagens durchs Fenster geschoben
haben und die Kohlen dann herunterpolterten. Ich hab’
immer darüber nachgedacht, ob das den Sängern nicht
furchtbar weh tut, wenn alles auf sie herunterprasselt,»
Laurie versuchte zu lachen. «Keinerlei Anzeichen, daß
hier irgend jemand wohnt. Also auch kein Grund mehr für
Alpträume, so Gott will.»
Hand in Hand gingen sie wieder nach oben. Laurie
gähnte. «Ich bin so müde, Mike. Und du Ärmster hast
meinetwegen seit Monaten keine ruhige Nacht mehr
gehabt. Warum legen wir uns nicht einfach wieder zu Bett
und verschlafen den Tag? Ich gehe jede Wette ein, daß ich
nicht durch einen Traum aufwache.»
Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, seine Arme hielten sie
umfangen.
«Träum süß, Liebes», flüsterte er.
«Diesmal bestimmt, das verspreche ich. Ich liebe dich,
Mike. Hab Dank für alles.»
Die geräuschvoll durch die Rutsche in den Keller
polternden Kohlen weckten Mike. Er blinzelte. Hinter den
Vorhängen strömte Licht herein. Automatisch warf er
einen Blick auf die Uhr. Kurz vor drei. Meine Güte, er
mußte wirklich übermüdet gewesen sein. Laurie war
bereits aufgestanden. Er zog lange Khakihosen an, dazu
Turnschuhe, lauschte nach Geräuschen aus dem
Badezimmer. Nichts zu hören. Lauries Morgenrock und
die Slipper lagen auf dem Sessel. Sie mußte bereits
angezogen sein. Plötzlich von panischer Angst erfaßt,
zerrte sich Mike ein Sweatshirt über den Kopf.
Das Wohnzimmer. Das Eßzimmer. Die Küche. Ihre
Kaffeetassen standen noch auf dem Tisch, die Stühle
zurückgeschoben, wie sie sie hinterlassen hatten. Mike
schnürte es die Kehle zu. Das laute Prasseln von Kohle
ebbte ab. Die Kohle. Vielleicht. Er nahm zwei Stufen auf
einmal. Kohlenstaub wogte durch den Keller. Im
Verschlag türmten sich blanke schwarze Eierbriketts. Er
hörte das Fenster zuschnappen. Er starrte hinunter auf die
Fußspuren am Boden. Die Abdrücke von seinen
Turnschuhen. Daneben die anderen, die er und Laurie
morgens mit ihren Hausschuhen hinterlassen hatten.
Und dann sah er, Schritt für Schritt, den Abdruck von
Lauries bloßen Füßen, die Abdrücke dieser
hochgewölbten, schlanken, zartknochigen Füße. Bis zum
Bretterverschlag. Keinerlei Anzeichen, daß sie zur Treppe
zurückgekehrt war.
Es läutete, das schrille, hohe, beharrliche Klingeln, das
ihn immer geärgert und seine Großmutter amüsiert hatte.
Mike raste die Treppe hinauf. Laurie … Laß es Laurie sein
…
Der Fahrer des Lieferwagens mit einer Rechnung in der
Hand.
«Quittieren Sie bitte den Empfang, Sir.»
Die Kohlenlieferung. Mike packte den Mann am Arm.
«Haben Sie in den Verschlag geschaut, bevor Sie die
Kohlen runterschütteten?»
Blaßblaue Augen in einem freundlichen, vom Wetter
gegerbten Gesicht musterten ihn mit offenem, wenn auch
etwas verdutztem Blick. «Na klar hab ich reingeschaut,
um mich zu vergewissern, wieviel Sie brauchen.
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