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Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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kommen näher», sagte sie zu Mike. «Sie kommen immer
näher.»
    Der Regen hielt den ganzen Tag über an. Das
Außenthermometer zeigte drei Grad Celsius. Den
Vormittag verbrachten sie lesend, jeder auf einer
Samtcouch zusammengerollt. Mike beobachtete, wie
Laurie sich allmählich entspannte. Als sie nach dem
Lunch in tiefen Schlaf fiel, ging er in die Küche und rief
den Psychiater an.
    «Ihr Gefühl, daß sie näher kommen, kann ein gutes
Zeichen sein», meinte der Arzt. «Möglicherweise befindet
sie sich unmittelbar vor der Bewußtseinsschwelle. Ich bin
überzeugt, daß die Wurzel dieser Alpträume in den
Ammenmärchen zu suchen ist, die Lauries Großmutter ihr
erzählte. Wenn wir genau definieren können, welches
diese Angst ausgelöst hat, sind wir in der Lage, sie davon
und von allen anderen zu befreien. Beobachten Sie sie
sorgfältig, und denken Sie daran – sie ist stark und kräftig
und will gesund werden. Damit ist die Sache schon halb
gewonnen.»
    Als Laurie aufwachte, beschlossen sie, sich das Inventar
des Hauses anzusehen. «Dad hat gesagt, wir können alles
haben, was wir wollen», erinnerte Mike sie. «Zwei Tische
sind antik, und die Kaminuhr ist ein wahres Prachtstück.»
Ein Wandschrank im Flur diente als Speicher. Sie
begannen ihn auszuräumen und die Sachen ins
Wohnzimmer zu schaffen. Laurie, in Jeans und Pullover,
das Haar zum Pferdeschwanz aufgebunden, sah wie
achtzehn aus und gewann Spaß an der Durchsicht. «Die
hiesigen Maler waren ziemlich lausig», lachte sie, «aber
die Rahmen sind toll. Kannst du sie dir nicht genau bei uns
an der Wand vorstellen?»
    Im vorigen Jahr hatte Mikes Familie ihnen eine
Mansarde in Greenwich Village als Hochzeitsgeschenk
gekauft. Bis vor vier Monaten waren sie in ihrer Freizeit
ständig auf der Suche nach günstigen Gelegenheiten,
grasten Auktionen und Trödler ab. Seit Beginn der
Alpträume hatte Laurie das Interesse verloren, die
Wohnung weiter einzurichten. Mike drückte die Daumen.
Vielleicht war sie wirklich auf dem Weg der Besserung.
    Auf dem obersten Fach entdeckte er hinter
zusammengerollten Quiltdecken ein Grammophon. «Mein
Gott, das hatte ich ja völlig vergessen», sagte er. «Ein
echter Fund. Sieh mal. Hier ist auch noch ein Stapel alter
Platten.»
    Er merkte nicht, daß Laurie plötzlich verstummte, als er
die Staubschicht abwischte und den Deckel öffnete. Auf
der Innenseite befand sich das Markenzeichen von Edison,
ein Hund, der lauschend vor einem Trichter sitzt, und die
Inschrift His Master’s Voice. «Es ist sogar ’ne Nadel
dran», stellte Mike fest. Rasch legte er eine Platte auf den
Teller, betätigte die Kurbel, drückte den Hebel und
beobachtete, wie die Platte sich zu drehen begann.
Behutsam setzte er den Tonarm mit der dünnen Nadel in
die erste Rille.
    Die Platte war zerkratzt. Hohe Männerstimmen sangen,
es hörte sich beinahe wie Falsett an. Das Ganze lief viel zu
schnell und nicht synchron. «Ich kann den Text nicht
verstehen», sagte Mike.
    «Kennst du das Stück?»
«Es ist ‹Chinatown›», erwiderte Laurie. «Hör zu.» Sie
begann mitzusingen, übernahm mit ihrem bezaubernden
    Sopran die Führung. Das Herz kennt keine andre Welt und
findet nirgends Ruh. Ihre Stimme brach. Keuchend schrie
sie: «Stell das ab, Mike! Stell’s sofort ab!» Sie hielt sich
die Ohren zu, sank in die Knie, totenblaß.
    Mike riß die Nadel mit einem Ruck von der Platte. «Was
ist denn los, Schatz?»
«Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.»
    Bei Tagesanbruch saßen sie in der Küche und tranken
Kaffee. «Es fällt mir wieder ein, Mike», sagte Laurie. «Ich
war noch klein. Meine Großmutter hatte auch so ein
Grammophon. Und die gleiche Platte. Ich fragte sie, wo
denn die Leute sind, die da singen. Ich dachte, sie müßten
sich irgendwo im Haus verstecken. Sie nahm mich mit in
den Keller und zeigte auf den Verschlag mit den Kohlen.
Von dort kämen die Stimmen, sagte sie. Die Leute, die das
Lied sangen, wären im Kohlenkeller, das könnte sie mir
schwören.»
    Mike stellte die Kaffeetasse hin. «Großer Gott!»
«Danach bin ich nie wieder in den Keller
runtergegangen. Ich hatte Angst. Dann zogen wir um in
eine Wohnung, und sie verschenkte das Grammophon.
Deswegen hab’ ich das Ganze wohl vergessen.» In Lauries
Augen leuchtete Hoffnung auf. «Mike, vielleicht hat diese
alte Angst mich aus irgendeinem Grund eingeholt. Zu
Ende der Spielzeit war ich so erschöpft. Unmittelbar

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