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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Unbefriedigtsein (das man nicht mit jugendlicher Unrast gleichsetzen sollte). Alles, was diese Forderungen zerstört, verschwinden läßt oder verringert (in erster Linie also die Zustimmung, die den Zwiespalt beseitigt), vernichtet das Absurde und entwertet die Haltung, die nun vorzuschlagen wäre. Das Absurde hat nur insoweit einen Sinn, als man sich mit ihm nicht' einverstanden erklärt.

Ausweichen der Existenzphilosophie

    Es gibt einen offenkundigen und anscheinend durchaus moralischen Tatbestand: ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten. Hat er sie einmal erkannt, so kann er sich von ihnen nicht frei machen. Man muß eine Kleinigkeit bezahlen. Ein Mensch, dem das Absurde bewußt geworden ist, bleibt für immer daran gebunden. Ein Mensch, der keine Hoffnung hat und sich dessen bewußt ist, hat keine Zukunft mehr. Das ist in Ordnung. Aber es ist gleichermaßen in Ordnung, daß er sich bemüht, dem von ihm geschaffenen Universum zu entrinnen. Alles Vorhergesagte hat eben nur im Hinblick auf dieses Paradox einen Sinn. In dieser Beziehung ist nichts aufschlußreicher als eine Untersuchung darüber, wie die Menschen, die von einer Kritik des Rationalismus aus das absurde Klima erkannt haben, ihre Schlußfolgerungen weiterentwickelten.

    Nun, wenn ich mich an die Lehren der Existenzphilosophie halte, so sehe ich, daß ausnahmslos alle mir ein Ausweichen vorgeschlagen haben. Sie gehen, vom Absurden aus, auf den Trümmern der Vernunft in eine geschlossene, auf das Menschliche begrenzte Welt, und durch eine sonderbare Überlegung vergöttlichen sie das, was sie zerschmettert, und sie finden einen Grund zur Hoffnung in dem, was sie hilflos macht. Diese gewaltsame Hoffnung ist bei allen wesenhaft religiös. Sie verdient es, daß wir näher auf sie eingehen.
    Ich werde hier nur als Beispiele einige Themen analysieren, die SCHESTOW und KIERKEGAARD eigentümlich sind. Aber JASPERS wird uns, bis zur Karikatur überspitzt, ein typisches Beispiel für diese Haltung liefern. Dadurch wird alles andere klarer werden. JASPERS bleibt ohnmächtig, das Transzendente zu realisieren, unfähig, die Tiefe der Erfahrung auszuloten, behält aber dieses durch die Niederlage eingestürzte Universum im Bewußtsein. Wird er weitergehen oder wenigstens Schlüsse aus dieser Niederlage ziehen? Er bringt nichts Neues. Er ist bei der Untersuchung nur zu dem Eingeständnis seiner Ohnmacht gekommen und hat dabei nur einen Vorwand für die Ableitung irgendeines zufriedenstellenden Prinzips gefunden. Dennoch bejaht er - ohne Rechtfertigung, wie er selber sagt - in einem Zuge zugleich das Transzendente, das Sein der Erfahrung und den übermenschlichen Sinn des Lebens, wenn er schreibt: Dieses Sein, das plötzlich durch einen blinden Akt des menschlichen Vertrauens alles erklärt, definiert er als . So wird das Absurde Gott (im weitesten Sinne des Wortes), und das Nichtverstehenkönnen wird das Sein, das alles erleuchtet. Nichts macht diese Überlegung logisch. Ich kann sie einen Sprung nennen. Und paradoxerweise versteht man JASPERS Beharrlichkeit und seine unendliche Geduld, die Erfahrung des Transzendenten unvollziehbar zu machen. Denn je mehr sich diese Annäherung verflüchtigt, desto deutlicher erweist sich die Aussichtslosigkeit dieser Definition und desto wirklicher ist das Transzendente selbst; denn die Leidenschaft, mit der er es bejaht, entspricht genau dem Abstand zwischen seinem Deutungsvermögen und der Irrationalität der Welt und der Erfahrung. So scheint JASPERS mit um so größerer Erbitterung die Vorurteile der Vernunft zu zerstören, je radikaler er durch sie die Welt zu erklären versucht. Dieser Apostel des demütigen Denkens findet gerade in der äußersten Demüti gung etwas, woraus er das Sein in seiner ganzen Tiefe wiedererstehen läßt.

Umschlagen in Mystik

    Das mystische Denken hat uns mit diesen Verfahren bekanntgemacht. Sie sind genauso berechtigt wie irgendeine andere Geisteshaltung. Im Augenblick aber tue ich so, als nähme ich dieses Problem ernst. Ohne zunächst über den allgemeinen Wert dieser Haltung oder über Ihren lehrhaften Sinn urteilen zu wollen, möchte ich sie nur daraufhin betrachten, ob sie den Bedingungen entspricht, die ich mir gestellt hatte, und ob sie des Konflikts würdig ist, der mich interessiert. So

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