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Der Mythos des Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos

Titel: Der Mythos des Sisyphos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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ihren Bereich, in dem sie wirksam ist. Es ist genau der Bereich der menschlichen Erfahrung. Von da aus sollten wir alles klarmachen. Wenn wir es nicht können und wenn dabei das Absurde entsteht, dann eben in dem Zusammenstoß dieser wirksamen aber begrenzten Vernunft mit dem stets neu entstehenden Irrationalen. Wenn nun SCHESTOW an einem HEGELschen Satz wie diesem Anstoß nimmt: , wenn er sich leidenschaftlich darum bemüht, den Rationalismus SPINOZAs zu zerfasern, so schließt er daraus gerade auf die Sinnlosigkeit jeglicher Vernunft. Und von da aus mit einer natürlichen und unberechtigten Wendung, auf den Vorrang desIrrationalen 8 .
    Dieser Schritt aber ist nicht überzeugend. Denn hier können Begriffe wie Grenze und Ebene störend dazwischentreten. Die Naturgesetze können bis zu einer bestimmten Grenze gelten, darüber hinaus wenden sie sich gegen sich und lassen das Absurde entstehen. Oder sie lassen sich noch auf der Ebene der Beschreibung rechtfertigen, ohne deshalb auf der Ebene der Auslegung zu stimmen. Hier wird alles dem Irrationalen geopfert, und wenn das Gebot der Klarheit beiseitegelassen wird, verschwindet das Absurde mit einem seiner Vergleichsbegriffe. Der absurde Mensch dagegen kommt nicht zu diesem Ausgleich. Er erkennt den Kampf an, verachtet nicht durchaus die Vernunft und gibt das Irrationale zu. Er beachtet also alle Erfahrungstatsachen und ist wenig geneigt zu springen, bevor er weiß. Er weiß nur, daß in dieser aufmerksamen Bewußtheit für die Hoffnung kein Platz mehr ist.

Kierkegaards Sprung

    Was bei LEO SCHESTOW spürbar ist, wird bei KIERKEGAARD vielleicht noch deutlicher. Gewiß, bei einem so schwer greifbaren Autor ist es eine klare Lehre herauszuschälen. Aber trotz anscheinend gegensätzlicher Schriften und über allen Pseudonymen, über allem Spiel und Lächeln taucht überall in seinem Werk so etwas wie die Ahnung (und gleichzeitig der Begriff) einer Wahrheit auf, die schließlich in den letzten Werken offen zutage tritt: auch KiERKEGAARD macht den Sprung. Zum Christentum, dem Schrecken seiner Kindheit, kehrt er am Ende zurück, zu dessen strengster Gestalt. Auch bei ihm werden Widerspruch und Paradox Prüfsteine für den Frommen. Gerade das, was ihn am Sinn und an der Tiefe dieses Lebens verzweifeln ließ, schenkt ihm jetzt seine Wahrheit und seine Klarheit. Das Christentum ist das Ärgernis, und KIERKEGAARD verlangt ganz einfach nach dem dritten, von IGNATIUS VON LOYOLA geforderten Opfer, das Gott am meisten freut: 9 . Diese Wirkung des ist sonderbar, sie darf aber nicht mehr überraschen. Er macht das Absurde zum Kriterium des Jenseits, während es nur ein Rückstand diesseitiger Erfahrung ist. , sagt KIERKEGAARD, findet der Gläubige seinen Sieg.>
    Ich brauche mich nicht zu fragen, auf welche rührende Predigt diese Haltung zurückgeht. Ich muß mich nur fragen, ob die Erscheinung des Absurden und sein eigentliches Wesen diese Haltung rechtfertigen. Hier weiß ich aber, daß dem nicht so ist. Wenn man den Inhalt des Absurden wiederum betrachtet, wird man die Methode, von der KIERKEGAARD sich leiten läßt, besser verstehen. Er hält nicht das Gleichgewicht zwischen dem Irrationalen der Welt und der aufgeführten Sehnsucht nach dem Absurden. Er mißachtet die Beziehung zwischen beiden, die in Wahrheit das Gefühl der Absurdität ausmacht. In der Gewißheit, dem Irrationalen nicht entgehen zu können, will er sich wenigstens vor dieser verzweifelten Sehnsucht retten, die ihm unfruchtbar und belanglos erscheint. Aber wenn dieser Punkt seiner Begründung stimmen mag, so hat er nicht recht mit seiner Verneinung. Wenn er seinen Empörungsschrei durch eine besinnungslose Zustimmung ersetzt, dann muß er schließlich das Absurde, das ihn bisher erleuchtete, ignorieren und die einzige Gewißheit, die er nun hat, das Irrationale, vergöttlichen. Der Abbe GALIANI sagte zu Madame D’EPINAY: wichtig ist nicht, gesund zu werden, sondern mit seinen Krankheiten zu leben. KIERKEGAARD will gesund werden. Gesund werden  - das ist sein rasender Wunsch, jener, der immer wieder in seinem Tagebuch auftaucht. Sein Verstand gibt sich, alle Mühe, dem Widerspruch der menschlichen Situation zu entrinnen. Eine um so verzweifeltere Anstrengung, als er in plötzlichen Lichtblicken ihrer Nutzlosigkeit gewahr wird, wenn er von

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