Der Nachtschwärmer
rechnen.«
»Und wie wollt ihr ihn stoppen?«
Bill hatte die letzte Frage gehört und gesellte sich zu uns. »Wir gehen davon aus, dass es Paul Erskine ist, der dieses Doppelleben führt. Wir waren schon mal bei ihm, und wir werden ihm jetzt wieder einen Besuch abstatten.«
»Zurück ins Heim?«
»Ja.«
»Aber er wird nicht...«
Ich ließ Lorna nicht ausreden. »Er muss«, sagte ich nur. »Er wird auch seine Flucht vorbereiten. Er weiß, dass er unter Verdacht steht, und wird sich bestimmt zurückziehen wollen. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich zum Heim fahren.«
Lorna sagte etwas, das wir im ersten Moment nicht begriffen. »Ich habe den Schlüssel.«
»Welchen Schlüssel?«
Ich sah ihr Lächeln. »Den zur Hintertür.«
»Okay, dann los.«
***
Wir waren zwar auf den offiziellen Parkplatz gefahren, wo der Rover schon mal gestanden hatte, aber wir hatten uns an den Bau selbst herangeschlichen und auch darauf geachtet, dass uns niemand aus der Höhe her beobachtete.
Das war zum Glück nicht eingetroffen, und auch durch den Garten schlichen wir ungehindert. Es war noch schwül, aber zugleich erreichten uns die ersten Windböen, und aus den tiefen Wolken hervor fielen erste dicke Regentropfen, die auf unsere nasse Kleidung klatschten.
Im Schutz der Hausmauer blieben wir stehen und sahen schon den Schlüssel in Lorna’s Hand.
»Willst du nicht besser Zurückbleiben?«, fragte ich sie.
»Nein, ich gehe mit. Ich kenne mich ja aus.«
»Lass sie, John.«
»Okay, aber halte dich zurück.«
»Versprochen.«
Das Heim lag in einer tiefen Ruhe begraben. Die war nicht nur äußerlich, sondern breitete sich auch im Innern aus, denn hinter keinem der Fenster schimmerte Licht. Wer immer hier lebte, der lag im tiefen Schlaf. Nur Erskine nicht.
Ich hatte den Schlüssel an mich genommen. Bill ließ seine Lampe kurz aufblitzen, damit ich das Schloss fand, in das ich den Schlüssel hineinsteckte.
Obwohl es uns drängte, endlich an den verdammten Nachtschwärmer heranzukommen, mussten wir so behutsam und leise wie möglich zu Werke gehen. Das geringste verdächtige Geräusch konnte ihn warnen und unsere Pläne zunichte machen.
Die Tür ließ sich gut öffnen, doch nicht geräuschlos. Wir alle hielten den Atem an, bevor wir das Haus betraten und erlebten keine böse Überraschung.
Uns empfing die Kühle und auch die Stille eines nächtlichen Hauses, in dem kein Mensch mehr auf den Beinen war. Es spielte kein Radio, es lief kein Fernseher, die Stille verteilte sich bis unter das Dach und wurde nur von unseren etwas schleichenden Schritten unterbrochen.
Lorna hatte uns erklärt, wohin wir zu gehen hatten. Es dauerte nicht länger als eine Minute, bis wir das Büro und auch die Privaträume des Heimleiters erreicht hatten.
Zwischen den beiden Räumen gab es eine Verbindungstür. Wir konnten einmal ins Büro gehen und zugleich die Privaträume betreten.
»Schließt er immer am Abend ab?«, fragte ich leise.
Lorna zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht.«
»Dann könnten wir ja Glück haben.«
»Wohin?«, hauchte Bill.
»Büro.«
Ich hatte aus dem Bauch heraus entschieden. Hinter beiden Türen war es dunkel. Zumindest drang kein Licht durch irgendein Schlüsselloch und auch nicht unter der Tür her.
Die Tür war noch mit einer richtig schweren und alten Klinke bestückt, wie es sich für einen Bau dieser Art gehörte. Paul Erskine hatte sie nicht abgeschlossen. In seinem Reich fühlte er sich sicher. Wie hätte er auch ahnen können, dass es in dieser Nacht für ihn anders laufen würde, als er es sich vorstellte.
Leer. Der Raum war leer. Das brauchte ich nicht zu sehen, das konnte ich spüren. Ich riskierte es deshalb, die Lampe einzuschalten. Der Lichtkegel wanderte durch den Raum, den Bill und ich bereits kannten, und wir stellten auf den ersten Blick hin fest, dass sich hier nichts verändert hatte.
Auch Lorna war uns gefolgt. Sie ging auf sehr leisen Sohlen und witterte wie ein Tier.
»Er ist nicht hier«, sagte sie. »Noch nicht. Ich... ich... kann ihn nicht orten.«
»Du spürst also, wenn er sich in deiner Nähe befindet?«
»Sehr genau.«
Bill und ich schauten uns an. Wenn sie Recht behielt, dann konnten wir darauf verzichten, auch den Nebenraum zu durchsuchen. Dann würden wir einfach warten, bis er kam. Denn dass er hier erschien, das stand für mich fest. Er musste jetzt etwas unternehmen.
Ich wollte mich nicht nur auf Lorna’s Aussage verlassen und ging auf die Tür zu, die
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