Der Nachtzirkus
sich in seinem Sessel zurück. Celia hält ihm sofort die offene Handfläche hin, ohne zu wissen, was sie erwartet. Aber der Mann im grauen Anzug legt nichts hinein. Stattdessen dreht er ihre Hand um und zieht sich einen silbernen Ring vom kleinen Finger. Er steckt ihn ihr auf den Ringfinger, obwohl er viel zu groß ist, und hält mit der anderen Hand ihren Arm fest.
Sie will gerade sagen, der Ring sei zwar sehr schön, passe aber nicht, da merkt sie, dass er schrumpft.
Ihre kurze Freude über den kleiner werdenden Ring wird bald von Schmerz überlagert, als der Ring an ihrem Finger immer enger wird und das Metall sich in ihre Haut brennt. Sie versucht sich zu befreien, aber der Mann im grauen Anzug hält ihren Arm fest umklammert.
Der Ring wird dünner, löst sich auf und hinterlässt eine leuchtend rote Narbe um Celias Finger.
Der Mann im grauen Anzug gibt ihren Arm frei. Celia zieht sich in eine Ecke zurück und starrt auf ihre Hand.
»Braves Mädchen«, sagt ihr Vater.
»Ich brauche eine Weile, um einen Spieler vorzubereiten«, sagt der Mann im grauen Anzug.
»Natürlich«, erwidert Hector. »Lass dir alle Zeit der Welt.« Er zieht sich einen goldenen Ring vom Finger und legt ihn auf den Tisch. »Der ist für ihn, wenn du ihn gefunden hast.«
»Du willst dir nicht selbst die Ehre geben?«
»Ich vertraue dir.«
Der Mann im grauen Anzug nickt und zieht ein Taschentuch aus seinem Mantel, nimmt den Ring, ohne ihn zu berühren, und steckt ihn in seine Tasche.
»Ich hoffe doch sehr, du machst das Ganze nicht nur, weil mein Spieler beim letzten Mal gewonnen hat.«
»Natürlich nicht«, antwortet Hector. »Ich mache das, weil ich eine Spielerin habe, die es mit jedem aufnehmen kann, den du ihr gegenüberstellst, und weil sich die Zeiten geändert haben. Unser Wettstreit könnte interessant werden. Im Übrigen glaube ich, dass ich in der Gesamtbilanz vorne liege.«
Der Mann im grauen Anzug ficht diese Behauptung nicht an, er betrachtet Celia nur weiterhin prüfend. Sie versucht sich seinem Blick zu entziehen, aber das Zimmer ist zu klein.
»Weißt du schon, wo das Ganze stattfinden soll?«, fragt er.
»Nicht direkt«, sagt Hector. »Ich dachte, es macht vielleicht mehr Spaß, wenn wir den Austragungsort noch offenlassen. Als Überraschung, wenn du so willst. Ich kenne einen Theaterproduzenten in London, der für Ungewöhnliches immer zu haben ist. Wenn es so weit ist, gebe ich ihm Bescheid, dann fällt ihm bestimmt etwas Passendes ein. Das Ganze auf neutralem Boden auszutragen wäre vermutlich das Beste, aber vielleicht möchtest du den Auftakt ja lieber auf deiner Seite des Teichs bestreiten.«
»Und wie heißt dieser Herr?«
»Chandresh. Chandresh Christophe Lefèvre. Angeblich ist er der uneheliche Sohn eines indischen Prinzen oder so ähnlich. Die Mutter war eine leichtlebige Ballerina. Irgendwo in diesem Chaos habe ich seine Karte. Du wirst ihn mögen, er ist seiner Zeit immer voraus. Wohlhabend, exzentrisch. Ein bisschen zwanghaft, irgendwie unberechenbar, aber das ist bei Künstlern wohl immer so.« Der Papierstapel auf einem Schreibtisch verschiebt und vermischt sich, bis eine Visitenkarte obenauf liegt und durch den Raum segelt. Hector fängt sie auf und liest sie, bevor er sie dem Mann im grauen Anzug reicht. »Er gibt wundervolle Partys.«
Der Mann im grauen Anzug steckt sich die Karte in die Tasche, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
»Noch nie von ihm gehört«, sagt er. »Und im Übrigen halte ich nicht viel von öffentlichen Schauplätzen. Ich überlege mir das Ganze.«
»Unsinn, ohne Publikum macht es doch nur halb so viel Spaß. Dadurch kommen Einschränkungen und Probleme ins Spiel, die man erst mal lösen muss.«
Der Mann im grauen Anzug überdenkt dies kurz und nickt dann.
»Gibt es eine Offenlegungsklausel? Das wäre eigentlich fair, da ich deine Akteurin kenne.«
»Verzichten wir auf sämtliche Klauseln und halten uns nur an die üblichen Regeln, dann sehen wir, was passiert«, sagt Hector. »Bei diesem Spiel möchte ich keine strengen Vorgaben. Auch keine zeitlichen Beschränkungen. Ich überlasse dir sogar den ersten Zug.«
»Na schön. Abgemacht. Ich melde mich.« Der Mann im grauen Anzug steht auf und wischt sich unsichtbaren Staub vom Ärmel. »War mir ein Vergnügen, Miss Celia.«
Celia knickst wieder vorbildlich, beobachtet ihn dabei jedoch argwöhnisch.
Der Mann im grauen Anzug zieht zum Abschied den Hut vor Prospero, schlüpft zur Tür hinaus und verlässt das
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