Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
Vom Netzwerk:
seine unüberlegten Worte gegenüber
    dem Missionsleiter, seine Zweifel und Grübeleien, die seit Bens Tod in ihm aufgebrochen waren und nicht mehr einzudämmen schienen. Aron versuchte, diese
    Gedanken aus seinem Kopf zu zwingen, denn nach Sally musste er auf die Bühne, um über die segensreiche Liga-Organisation zu referieren.
    Aron war ein anderer geworden in diesen Wochen. Er spürte es deutlich, aber wagte nicht, es einzugestehen. Er klammerte sich an alte Sicherheiten, zugleich
    zerbrach er fast unter dem Sturm von Zweifeln und Fragen. Er sah sein noch makelloses äußeres Bild, das sich in den Akten der Liga widerspiegelte und
    wusste gleichzeitig, dass er ihm nicht mehr entsprach. Er wusste, dass es zur hohlen Fassade geworden war, obwohl er sich mühte, in die alte Vertrautheit
    zurückzufinden, obwohl es ihm für Tage zu gelingen schien, sich in die gewohnte Geborgenheit zu flüchten. Doch die Wahrheit war nicht zu verbergen. Der
    Mahaguru vermochte jedem Atma in die Tiefe des Herzens zu sehen. Irgendwann würden alle es wissen, dass Arons glanzvolles Bild verblasst war, dass er den
    reinen Weg des Hju verlassen hatte. Noch immer erschrak er, wenn ihm solche Gedanken durch den Kopf gingen, versuchte sie mit Tausenden Argumenten zu
entkräften, doch wenn er Atmas wie Sally sah, die von innen heraus leuchteten in ihrem unerschütterlichen Glauben an jedes Wort im
Buch der Erleuchtung
, wurde ihm das Maß der eigenen Verfehlung schonungslos bewusst. Er konnte den Schein noch lange wahren, konnte von Leistungen
    der Vergangenheit zehren, doch irgendwann würde es für alle deutlich ersichtlich sein, wo er in Wirklichkeit stand.
    Sally kam mit ihrem Vortrag zu Ende. Sie schloss mit einem persönlichen Dank an den Mahaguru: „Ihm verdanke ich alles, was ich je in meinem Leben wünschte,
    innere Freiheit, Glück, Liebe und Weisheit des Herzens.“ Sie hauchte die letzten Worte hin, gerührt von der eigenen Ergriffenheit, den Tränen nahe,
    bedankte sich bei ihrem Publikum und trat ab. Aron kannte diese innere Anspannung, die sich bei Vorträgen und Schulungen einstellte, das innere Zittern,
    die mühsam im Zaum gehaltenen Emotionen, die aus der Aufwühlung hervorbrachen. ‚Das Hju hat ihn gepackt,‘ sagten Atmas, wenn sie diesen Zustand bei einem
    anderen bemerkten. ‚Liga-Trance‘ hatte Ben diese Erscheinung genannt und vor allem Leuten zugeschrieben, deren Gefühlsleben nicht ausgeglichen war. Er
    selbst pflegte seine Vorträge in knappen, wohl gewählten Worten zu halten, in die er die ganze Wärme seiner Persönlichkeit legte. Er vermochte mit einem
    Publikum zu sprechen wie mit einem guten Freund, ohne Pathos, ohne Allüre, scheinbar nebenher und doch überlegt und klar. Man hatte ihm eine große Karriere
    als Vortragender prophezeit. Aber er war tot und vergessen. Während die Leute in der kurzen Pause, die nun entstand, zu plaudern begannen, ein Raunen und
    Murmeln durch den Saal ging, einige Balinesen aufstanden und den Raum verließen, wurde Aron wieder einmal von dem Wissen getroffen, dass sein Freund tot
    war, unwiederbringlich tot.
    Dorothy und Peter, zwei Akademieabsolventen aus Australien traten mit Gitarren auf die Bühne. Sie spielten und sangen den Hit der
Heavenly Lights
,
    den Aron in jener Nacht im Wohnheim auf Bens Tonband gehört hatte. Aron erschrak. Er hörte, wie der Ansager seinen Namen nannte, wie er ihn ankündigte als
    Absolventen der deutschen Liga-Akademie, spürte, wie er sich automatisch erhob und auf die Bühne stieg, wie er das Mikrofon in die Hand nahm und sich seine
    Lippen zum gewohnheitsmäßigen Lächeln formten. Die oft geübte Routine setzte sich über seine Zerrissenheit hinweg. Plötzlich aber begann sich alles in ihm
    gegen die Worte zu sträuben, die nun aus ihm zu fließen begannen. Er blickte die Balinesen im Publikum an. Es waren die gleichen Gesichter, die mit
    glänzenden Augen die tanzenden Mädchen verfolgt hatten, den Lauf des Mannes durch stiebende Glut, diese heiteren, immer zu einem Lachen bereiten Gesichter,
    denen er nun in papierenen Worten die Struktur der Liga-Organisation vortragen sollte, einer Organisation, die ihnen so fremd war wie Hochhäuser,
    Gefriertruhen und Mikrowellenherde. Aron begann zu schwitzen in seinem Anzug, trotz der Klimaanlage, die den Raum fast zu kühl temperierte, dachte daran,
    die für öffentliche Vorträge vorgeschriebene Kleiderordnung zu durchbrechen und das Sakko auszuziehen und die Krawatte zu lockern, aber er

Weitere Kostenlose Bücher