Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
praktischen Schulungen fördert jeden Atma auf diesem Weg. In der Liga
gibt es kein unkontrolliertes Wachstum, keine Korruption und Protektion, kein Vortäuschen von Erleuchtungszuständen, die man nicht wirklich erreicht hat,
keinen Betrug und auch keine Selbsttäuschung, wie das in allen anderen von Menschen geleiteten Organisationen und Religionen der Fall ist. Durch die
allmächtige und allwissende Präsenz des Mahaguru erglüht jeder einzelne Atma jederzeit im glänzenden Licht der Wahrheit. Ohne die Gnade des Mahaguru gibt
es kein spirituelles Wachstum.“
Aron blickte auf Judith in der ersten Reihe. Sie schien seinen Ausführungen nicht zuzuhören, sondern schrieb mit unbewegter Miene in ihr Notizbuch.
Vielleicht notierte sie einen Bericht für das Hauptquartier, in dem auch von Arons Ohnmacht die Rede war, von seiner Schwäche bei dem Feuerritual.
Vielleicht hatte auch sie den geheimen Auftrag verfolgt, Walt Mason, den Feind der Liga, auf Bali zu suchen. Aron erschrak. Es konnte unmöglich sein, dass
Walt sich ihr offenbart hatte, einer Journalistin der
Wahrheit
, einer Atma mit besten Beziehungen zum Hauptquartier. Aber vielleicht hatte sie
Aron und Walt heimlich belauscht. Vielleicht schrieb sie gerade jetzt nieder, dass Aron Endres den Agenten der negativen Kraft, der den Mahaguru ermorden
wollte, deckte, dass er versäumt hatte, diese Begegnung dem Missionsleiter zu melden. Und doch, es war unmöglich. Nur kurz hatte Aron noch mit Walt
gesprochen in der Nacht des Tempelfestes, bevor bleierne Müdigkeit ihn zurückgerissen hatte in die Dunkelheit des Schlafes. Noch im Einschlafen hatte er
gefürchtet, die schrecklichen Bilder seiner Ohnmacht würden wiederkommen, doch sein Schlaf war tief und traumlos gewesen. Judith hatte ihn geweckt. Sie war
verändert gewesen, besorgt um ihn, milde, fast zärtlich. Sie waren zurückgewandert zum Auto, schweigend, durch den lichtdurchfluteten Wald. Das Dorf war
verlassen gewesen, scheinbar menschenleer. Aron war es vorgekommen, als schlichen sie von einem verbotenen Ort, als sei die Last seiner Schuld unerträglich
geworden. Auf der Rückfahrt war Judith eingeschlafen. Ihr Kopf war auf Arons Schulter gesunken, hatte sich angeschmiegt, vertraut, selbstverständlich.
Lange hatte er die Berührung ihrer Haare an der Wange gespürt, ihren gleichmäßigen Atem, die Schwere ihres schlafenden Körpers, war bewegungslos gesessen,
um Judith so lange wie möglich in dieser Nähe zu fühlen. Er hatte erwartet, sie würde beim Erwachen abrupt hochfahren, sich kühl entschuldigen, doch als
sie bei einer scharfen Kurve die Augen aufschlug, war sie noch Augenblicke verharrt, hatte gelächelt und sanft Arons Knie berührt. Sie hatten geschwiegen
bis zur Ankunft in der Mission. Ein ärgerlicher Dan Putnam hatte den Minibus erwartet, hatte I Gede rüde zurechtgewiesen und damit wieder Judiths Zorn
entfacht. Sie hatte den Balinesen energisch verteidigt, war streitend mit Dan ins Zentrum gestampft. Aron hatte Judith seither nicht mehr gesprochen.
Morgen würde sie abreisen. Ihre unbemerkte Vertraulichkeit schien vergessen. Er sah ihren schwarzen Haarschopf im Publikum und glaubte ihren Geruch wieder
in seiner Nase zu spüren.
Aron brach ab, der Strom seiner Worte, der zuletzt wie von selbst geflossen war, versiegte. Er versuchte höfliche, abschließende Wendungen, fiel zurück in
gehemmte Unsicherheit, brachte nur einen hingestammelten Dank an das Publikum hervor, bevor er sich mit knapper Verbeugung von der Bühne zurückzog,
begleitet von spärlichem Applaus und fragenden, verwunderten Blicken von den Mitarbeitern der Mission. Sprach so ein Absolvent der deutschen Akademie, ein
Anwärter auf die höheren Kreise der Einweihung? Aron setzte sich zu den anderen und versank in Schweigen, den Blick starr auf die Bühne gerichtet, wo ein
weiterer Missionsgast lässig das Mikrofon zur Hand nahm und mit einem locker hingeworfenen Scherz seinen Vortrag über den vielfältigen Nutzen des
Schulungsprogrammes der Liga einleitete.
Kapitel 13
Das gelbe Buch VI
Jane stellte uns einen großen, stattlichen Mann vor, etwa Ende vierzig, die dunkelblonden Haare schütter, die hohe Stirn solariumgebräunt, der massige
Körper zum Bauchansatz neigend.
„Ein Mahaguru Marke Provinzplayboy,“ lästerte Ted.
Gordon Blake trat aber nicht wie ein Mahaguru vor den misstrauischen inneren Kreis, sondern wie ein befangener, um Sympathien heischender Prüfling. Eine
Weile herrschte
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