Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
seltsam erregte Starre, zusammengekauert wie ein Ungeborenes im Mutterleib, und in dieser Umnebelung meines Geistes, gleichsam wie entrückt in eine Region, die nicht von dieser Welt war, hatte ich eine Vision, es kann auch ein Traum gewesen sein.
    Ich stieg eine enge Treppe hinunter in einem schmalen Gang, als ginge ich in die Krypta zum Klosterschatz, doch immer weiter abwärtssteigend gelangte ich in eine Krypta, die sich vor meinen Augen höher und weiter auftat als die Küche im Aedificium. Es war ohne Zweifel die Küche, und es herrschte ein emsiges Treiben darin, aber nicht nur an Herden mit Tiegeln und Pfannen, sondern auch an Essen mit Blasebälgern und Hämmern und Zangen, als hätten Nicolas' Schmiede sich ein Stelldichein mit den Köchen gegeben. Überall war ein Gleißen und Glühen in Kaminen und Öfen, auf flackernden Feuern dampften Kessel, gefüllt mit Flüssigkeiten, an deren Oberfläche mit dumpfem Geblubber dicke Blasen zerplatzten. Die Köche fuhren mit Bratspießen durch die Luft, indes die Novizen, die gleichfalls alle versammelt waren, wild herumspringend nach den Hühnern haschten und nach anderem Federvieh, das auf die glühenden Eisen gespießt war. Doch gleich daneben hämmerten Schmiede so kraftvoll auf ihre Ambosse, daß der ganze Raum davon widerhallte und Funken aufstoben in dichten Wolken, die sich vermischten mit denen aus zwei prasselnden Herdfeuern.
    Ich begriff nicht, ob ich mich in der Hölle befand oder in einem Paradies, wie es vielleicht den Wunschträumen Salvatores entspringen mochte, triefend von fetten Soßen und berstend von harten Schinkenwürsten. Mir blieb jedoch gar nicht die Zeit, mich lange zu fragen, wo ich war, denn hereingestürmt kam eine Schar verhutzelter Männlein, winziger Zwerge mit großen tiegelförmigen Köpfen, und riß mich mit sich in ihrem Ungestüm und drängte mich über die Schwelle ins Refektorium.
    Der Saal war festlich geschmückt. Prächtige Wandteppiche hingen ringsum an den Wänden, doch ihre Bilder riefen nicht wie gewöhnlich zur Andacht der Gläubigen auf oder priesen den Ruhm der Könige, sondern schienen mir eher inspiriert an den Miniaturen, mit welchen Adelmus die Ränder der Buchseiten zu verzieren pflegte, erkannte ich doch die weniger furchterregenden und die drolligsten Szenen wieder: Hasen im fröhlichen Ringelreihn um den Schlaraffenbaum, Flüsse und Bäche voller Fische, die von allein in die Pfanne sprangen, während die Pfanne gehalten wurde von Affen-Köchen im Bischofsornat, kleine Monster mit Spitzbäuchen, die um dampfende Kessel tanzten …
    In der Mitte an seinem erhöhten Tische thronte der Abt, festlich gekleidet in einen gestickten Purpurmantel, seine Gabel hochhaltend wie ein Szepter. Neben ihm trank Jorge aus einem mächtigen Weinkrug, und am Pult las Remigius andächtig aus einem Buch in Skorpionform die Viten der Heiligen vor und die Abschnitte des Evangeliums, aber es waren Geschichten von Jesus, der mit seinen Jüngern scherzte und zu Simon sagte: »Vergiß nicht, du bist Petrus, und auf diesen schamlosen Felsblock, der über die Ebene rollt, will ich meine Kirche bauen«; oder auch die Geschichte vom Kirchenvater Hieronymus, der die Bibel kommentierte und sagte, Gott habe Jerusalem den Hintern entblößen wollen. Und bei jedem Satze des Cellerars wieherte Jorge vor Lachen und schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Du bist der nächste, Abbo, du bist der nächste, beim Bauche Gottes!« Genauso sprach er, Gott vergebe mir.
    Auf einen huldvollen Wink des Abtes erschien nun die Prozession der Jungfrauen. Es war ein prachtvoller Zug reich geschmückter Damen, in deren Mitte ich zuerst meine Mutter zu erkennen glaubte, doch bald bemerkte ich meinen Irrtum, denn es war ohne Zweifel das Mädchen, schrecklich wie eine waffenstarrende Heerschar. Nur daß sie auf dem Haupte ein Diadem aus zwei Reihen weißer Perlen trug, und je zwei weitere Perlenketten fielen ihr rechts und links die Wangen hinunter und vereinten sich mit zwei weiteren Perlenketten, die ihr quer über die Brust gingen, und an den Perlen der unteren Kette hingen Diamanten groß wie Pflaumen. Außerdem trug sie an den Ohren blaue Perlengehänge, die sich zu einem zierlichen Kettchen vereinten am Ansatz des weißen Halses, der aufragte wie ein Turm auf dem Libanon. Ihr langer Mantel war purpurfarben, und in der Hand hielt sie einen goldenen, mit Diamanten besetzten Kelch, und irgendwie wußte ich plötzlich, daß sich darin die tödliche Salbe

Weitere Kostenlose Bücher