Romana Exklusiv 0190
1. KAPITEL
Zuerst fiel Catherine die halb verdeckte Gestalt gar nicht auf. Sie war damit beschäftigt, den Kellner mit ihrem bewährten Ich-mache-hier-einen-tollen-Urlaub-Lächeln anzustrahlen, statt ihn mit der Leichenbittermiene anzusehen, die ihrem wahren Zustand entsprach. Schließlich musste sie sich mit der unangenehmen Tatsache abfinden, dass ihr Freund sich in eine andere Frau verliebt hatte.
Die schwüle Nachtluft umhüllte ihre Haut wie dicker griechischer Honig.
„ Kalisperce , Nico.“
„ Kalisperce , Dhespinis Walker“, erwiderte der Kellner, dessen Miene sich bei ihrem Anblick aufhellte. „Hatten Sie einen schönen Tag?“
„Aber ja!“, erwiderte Catherine betont munter. „Ich bin mit dem Boot hinausgefahren und habe mir die Höhlen angesehen, die Sie mir empfohlen haben.“
„Und mein Bruder – hat er sich auch gut um Sie gekümmert?“, erkundigte sich Nico besorgt.
„Ja, er war ganz rührend.“ In Wahrheit hatte Nicos Bruder weit mehr als nur ein professionelles Interesse daran gezeigt, Catherine die Fahrt so angenehm wie möglich zu machen. Sie hatte den größten Teil des Ausfluges damit verbracht, in möglichst großer Entfernung von der Ruderpinne zu sitzen.
„Bekomme ich wieder meinen Lieblingstisch?“, fragte sie erwartungsvoll. Nico hatte sich bisher immer bemüht, ihr jeden Abend den besten Platz zuzuteilen. Dieser befand sich in der hinteren Ecke des Restaurants und bot einen umwerfenden Blick aufs Meer.
Nico sah sie stirnrunzelnd an. „Das war leider nicht möglich, Dhespinis. Der Tisch ist bereits belegt. Heute Abend sitzt dort der Mann aus Irlandia.“
Irgendwie klang seine Stimme anders. Ein gewisser Respekt schwang darin mit, und Catherine meinte sogar so etwas wie Neid herauszuhören. Sie sah ihn verständnislos an. Woher kam dieser Mann?
„Irlandia?“, fragte sie verblüfft.
„Irland“, übersetzte Nico, nachdem er kurz nachgedacht hatte. „Er ist heute Nachmittag angekommen und hat Ihren Tisch belegt.“
Vielleicht war es dumm, so enttäuscht zu sein, aber genau so fühlte Catherine sich plötzlich. Merkwürdig, wie schnell man in den Ferien eine gewisse Routine entwickelte. Abend für Abend hatte sie an besagtem Tisch Platz genommen und das Gefühl genossen, direkt am Meer zu sitzen.
Man brauchte sich nur über das Geländer zu beugen und sah hinab in die tiefschwarzen Fluten des Mittelmeers. Besonders schön war es, wenn das silberne Licht des Mondes aufs Wasser fiel. Der Anblick war so beeindruckend, dass Catherine alles vergaß – England, Peter und ihren Job, der zu Hause auf sie wartete.
„Was fällt diesem Kerl ein?“, fragte sie empört. „Schließlich ist morgen mein letzter Tag!“
Nico zuckte die Schultern. „Er kann tun und lassen, was er will. Wissen Sie, warum? Er ist ein guter Freund von Kirios Kollitsis.“
Kirios Kollitsis. Das war der siebzigjährige Onassis der Insel, dem nicht nur die drei Hotels, sondern auch noch die Hälfte aller Läden im Dorf gehörte.
Catherine kniff die Augen zusammen, um die Gestalt im Halbschatten besser sehen zu können. Man behauptete ja für gewöhnlich, dass man eine Frau nach ihrem Gesicht und einen Mann nach seinem Körper beurteilen konnte. Obwohl es in der Dämmerung nicht leicht war, sah sie, wie muskulös der Mann war, und ihr war klar, dass er wesentlich jünger war als Kirios Kollitsis. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig.
„Ich kann Ihnen den Tisch daneben geben“, sagte Nico besänftigend. „Von dort aus kann man das Meer immer noch sehr gut sehen.“
Sie lächelte ihn an, denn schließlich war es ja nicht seine Schuld, dass der andere Tisch nicht frei war. Vielleicht war es ja auch dumm, an einer Routine festzuhalten, nur weil ihre alte Welt plötzlich zusammengebrochen war. Nur weil Peter sich aus ihrem Leben verabschiedet hatte und angeblich die Liebe seines Lebens mehr oder weniger über Nacht gefunden hatte, musste nicht der Rest der Welt darunter leiden. Aber natürlich fragte sich Catherine, was ihre immerhin fast dreijährige Beziehung wohl bedeutet haben mochte, wenn es damit so schnell vorbei sein konnte.
„Ja, das wäre sehr nett von Ihnen“, erwiderte sie zustimmend. „Vielen Dank, Nico.“
Finn Delaney saß bei einem Glas Ouzo und trank gedankenverloren. Während die Sonne langsam im Meer versank, bemerkte er, dass auch seine Anspannung langsam verschwand. Schließlich hatte er gerade den größten Deal seines Lebens abgeschlossen, und das in einem an
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