Der Name der Rose
stellen und eigenhändig niederzustechen, in der Krypta vielleicht, um dann seine sterblichen Reste auf die Reliquienschreine zu verteilen – Hauptsache, nichts dringt nach draußen und die Ehre der Abtei bleibt gewahrt! Man stelle sich vor: Ein Franziskaner, ein plebejischer Minorit, der das Gewürm unter diesen heiligen Steinen freilegt! Unmöglich, das muß verhindert werden, das kann dieser Gockel von Abt um keinen Preis zulassen! Vielen Dank, Bruder William, der Kaiser braucht Euch, Ihr habt gesehen, was für einen schönen Ring ich trage, lebt wohl … Aber jetzt ist mein Gegner nicht mehr bloß Abbo, jetzt ist mein Gegner und Herausforderer der ganze Fall, und ich werde diese Abtei nicht verlassen, bevor ich weiß, was hier vorgeht! Abbo will, daß ich morgen früh gehe? Gut, er ist der Herr, aber bis morgen früh muß ich's wissen. Ich muß .«
»Ihr müßt? Wer zwingt Euch jetzt noch?«
»Niemand zwingt uns zu wissen, Adson. Wir müssen einfach. Auch um den Preis, nicht recht zu begreifen.«
Ich war noch immer verwirrt und betroffen von Williams bösen Worten gegen meinen Orden und seine Äbte, und so versuchte ich, Abbo ein wenig zu rechtfertigen, indem ich eine dritte Hypothese aufstellte – was ich, wie mir schien, nun schon recht gut konnte: »Meister, Ihr habt eine dritte Möglichkeit außer acht gelassen. Wir haben in diesen Tagen bemerkt, und heute morgen erschien es uns schon ganz klar, nach allem Gemunkel, das wir zuerst von Nicolas und dann in der Kirche aufgeschnappt hatten: Es gibt hier eine Gruppe von italienischen Mönchen, die unzufrieden mit den ausländischen Bibliothekaren sind und dem Abt vorwerfen, er habe die Tradition der Abtei verraten, und soweit ich begriffen habe, verstecken sich diese Mönche hinter dem alten Alinardus, den sie wie ein Banner vor sich hertragen, um ein anderes Regiment der Abtei zu fordern. Das habe ich ganz gut begriffen, denn auch als Novize hat man im Kloster schon oft von solchen Streitigkeiten, Fehden und Machenschaften gehört. Also fürchtet nun Abbo vielleicht, Eure Enthüllungen könnten seinen Gegnern eine Waffe liefern, und will das ganze Problem mit großer Behutsamkeit lösen …«
»Möglich. Trotzdem bleibt er ein aufgeblasener Puter und wird sich umbringen lassen …«
»Aber was haltet Ihr von meiner Deduktion?«
»Das sag ich dir später.«
Wir waren unterdessen im Kreuzgang. Der Wind blies immer heftiger, es fing bereits zu dunkeln an, obwohl die neunte Stunde erst gerade vergangen war. Uns blieb nur noch wenig Zeit. Zur Vesper würde der Abt gewiß den Mönchen verkünden, daß William kein Recht mehr hatte, überall einzudringen und Fragen zu stellen.
»Es ist spät«, sagte William, »und wenn man nicht mehr viel Zeit hat, darf man auf keinen Fall die Ruhe verlieren. Wir müssen so handeln, als hätten wir noch eine Ewigkeit vor uns. Ich habe ein Problem zu lösen: wie man ins Finis Africae eindringt. Dort liegt gewiß der Schlüssel zum Ganzen. Außerdem müssen wir jemanden retten, ich habe nur noch nicht entschieden, wen. Und seien wir schließlich daraufgefaßt, daß etwas beim Pferdestall geschieht, behalt ihn bitte im Auge … He, sieh mal, was hier plötzlich für ein Gerenne ist …«
Tatsächlich, der Platz zwischen Kreuzgang und Aedificium war auf einmal ungewöhnlich belebt. Eben erst war ein Novize aus der Wohnung des Abtes gekommen und zum Aedificium gelaufen. Nun kam Nicolas aus der Küche und eilte zum Dormitorium. In einer Ecke sahen wir Aymarus, Petrus und Pacificus eifrig auf Alinardus einreden, als wollten sie ihn zu irgend etwas bewegen.
Dann faßten sie offenbar einen Beschluß. Aymarus nahm den immer noch zögernden Greis beim Arm und führte ihn zum Kapitelsaal. Sie hatten gerade den Eingang zur Wohnung des Abtes erreicht, da kam Nicolas aus dem Dormitorium und führte Jorge in dieselbe Richtung. Er sah die beiden anderen hineingehen, raunte dem Blinden etwas zu, der schüttelte den Kopf, und sie gingen weiter.
»Der Abt nimmt die Lage in die Hand …«, murmelte William skeptisch. Aus dem Aedificium kamen immer mehr Mönche, die um diese Zeit im Skriptorium hätten arbeiten sollen, gefolgt von Benno, der uns erblickte und sofort auf uns zueilte, sichtlich voller Besorgnis.
»Im Skriptorium gärt es«, sprudelte er hervor. »Niemand arbeitet mehr, alle tuscheln aufgeregt miteinander … Was ist los?«
»Der Teufel ist los«, sagte William seelenruhig. »Seit heute morgen sind alle Hauptverdächtigen tot.
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