Der Name der Rose
bei konstantem Grundrhythmus zu dosieren hat. Auch in der Musik gibt es solche Pedaltritte, man kann die Tempi »raffen« ( rubare ), doch wer zuviel rafft, wird einer von jenen schlechten Pianisten, die meinen, um Chopin zu spielen, genüge ein exzessives Rubato. Ich spreche hier nicht davon, wie ich meine Probleme gelöst habe, sondern wie ich sie mir gestellt habe. Und wenn ich sagen würde, ich hätte sie mir bewußt gestellt, wäre das eine Lüge. Es gibt ein kompositorisches Denken, das auch durch den Rhythmus der Finger auf den Tasten der Schreibmaschine denkt.
Ein Beispiel mag zeigen, wie das Erzählen ein Denken mit den Fingern sein kann. Es ist klar, daß die Szene mit Adsons Liebeserlebnis in der nächtlichen Küche aus lauter religiösen Zitaten zusammenmontiert ist, vom Lied der Lieder bis zu Bernhard von Clairvaux, Jean de Fecamp und Hildegard von Bingen. Auch wer keine Erfahrung mit hochmittelalterlicher Mystik hat, aber ein bißchen Ohr, wird das gemerkt haben. Doch wenn ich heute gefragt werde, von wem die Zitate im einzelnen sind und wo das eine aufhört und das andere beginnt, kann ich es nicht mehr sagen.
Ich hatte mir nämlich Dutzende von Zetteln mit Auszügen aus allen möglichen Texten, mehrere Bücher und einen Haufen Fotokopien bereitgelegt, viel mehr als ich dann wirklich benutzte. Aber als ich ans Schreiben ging, schrieb ich die Szene in einem Zug nieder (erst später habe ich sie gefeilt und gleichsam mit einer Glasur überzogen, um die Nahtstellen noch etwas besser zu tarnen). Und während ich schrieb, die Texte kunterbunt um mich her, fuhr ich mit den Augen ständig von einem zum anderen, holte mir da ein Zitat und dort ein Zitat und verschweißte jedes sofort mit dem nächsten. Kein anderes Kapitel des Buches habe ich in der ersten Fassung so rasch heruntergeschrieben wie dieses. Später begriff ich, daß ich versucht hatte, mit den Fingern dem Rhythmus des Liebesaktes zu folgen, weshalb ich nicht anhalten konnte, um mir das »richtige« Zitat herauszusuchen. Was ein Zitat an einer gegebenen Stelle richtig machte, war der Rhythmus, in dem ich es einmontierte, ich schied mit den Augen aus, was den Rhythmus der Finger gestört hätte … Es wäre zuviel gesagt, wenn ich behaupten würde, daß die Niederschrift des Geschehens nicht länger gedauert hatte als das Geschehen selbst (obwohl es ja Liebesakte von beträchtlicher Dauer gibt), aber ich war bestrebt, die Differenz zwischen der Dauer des Aktes und der des Schreibens so weit wie möglich zu verringern. Und ich meine hier nicht das Schreiben im Barthesschen Sinne der écriture, sondern im praktischen Sinne dessen, der tippt, ich spreche vom Schreiben als einem materiellen, physischen Akt. Und ich spreche von Rhythmen des Körpers, nicht von Emotionen. Die Emotion, längst gefiltert, war vorher gewesen, in der Entscheidung zur Assimilation von mystischer und erotischer Ekstase, als ich die zu benutzenden Texte gelesen und ausgewählt hatte. Danach war keinerlei Emotion mehr im Spiel, Adson war es, der Liebe machte, nicht ich, und mir blieb nur noch die Aufgabe, seine Emotion in ein Augen- und Fingerspiel umzusetzen, als wollte ich eine Liebesgeschichte nicht mit Worten auf dem Papier erzählen, sondern mit Schlägen auf einer Trommel.
Den Leser schaffen
Rhythmus, Atem, Initiation … Für wen, für mich? Nein, für den Leser. Wer schreibt, denkt an einen Leser. So wie der Maler, wenn er malt, an einen Betrachter denkt: Kaum hat er einen Pinselstrich angebracht, tritt er ein paar Schritte zurück und prüft die Wirkung; das heißt, er betrachtet das Bild mit den Augen dessen, der es künftig betrachten soll. Ist die Arbeit getan, so entspinnt sich ein Dialog zwischen dem fertigen Text und seinen Lesern (in den der Autor nicht eingreifen darf). Während der Arbeit laufen zwei Dialoge: einer zwischen dem entstehenden Text und allen zuvor geschriebenen Texten (jedes Buch wird aus anderen und über andere Bücher gemacht) und einer zwischen dem Autor und seinem gedachten Wunsch, Modell- oder Musterleser. Ich habe das in theoretischen Schriften dargelegt, insbesondere in meinen Studien über die »Rolle des Lesers«, aber auch schon in denen über das »Offene Kunstwerk« 130 , und es ist keine Erfindung von mir.
Es kann sein, daß der Autor beim Schreiben an ein empirisch vorhandenes Publikum denkt, wie es die Begründer des neuzeitlichen Romans taten, Richardson, Fielding oder Defoe, die für Kaufleute und deren Gattinnen schrieben,
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