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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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das? Weil die zweite Posaune der Apokalypse verkündet … Und die Apokalypse konnte ich schließlich nicht ändern, sie gehörte zu meiner Welt. Nun trifft es sich aber (ich habe mich informiert), daß Schweine erst bei Kälte geschlachtet werden, und dafür konnte November noch zu früh sein, jedenfalls in Italien. Es sei denn, ich versetzte meine Abtei in die Berge, um so bereits ersten Schnee zu haben … Andernfalls hätte sich meine Geschichte durchaus in der Ebene abspielen können, in Pomposa oder in Conques.
    Wie es dann weitergeht, sagt uns die einmal geschaffene Welt. Alle fragen mich immer, warum mein Jorge in seinem Namen an Borges erinnert und warum denn Borges so böse ist. Ich weiß es nicht. Ich wollte einen Blinden als Hüter der Bibliothek (das hielt ich für eine gute erzählerische Idee), und Bibliothek plus Blinder ergibt eben zwangsläufig Borges, auch weil die Schulden bezahlt werden müssen. Außerdem waren es spanische Kommentare und Miniaturen, durch welche die Apokalypse das ganze Mittelalter beeinflußt hatte. Doch als ich Jorge in die Bibliothek setzte, wußte ich noch nicht, daß er der Mörder war. Er hat das Ganze sozusagen auf eigene Faust getan. Und man halte das nicht für einen »Idealismus« wie die Behauptung, Romanpersonen hätten ein Eigenleben und der Autor lasse sich, wie in Trance, ihr Handeln von ihnen eingeben. Dummheiten für Abituraufsatzthemen. Nein, die Personen sind gezwungen, nach den Gesetzen der Welt zu handeln, in der sie leben. Anders gesagt, der Erzähler ist der Gefangene seiner eigenen Prämissen.
    Eine andere schöne Geschichte war auch die Sache mit dem Labyrinth. Sämtliche Labyrinthe, die ich kannte (und ich hatte die schöne Untersuchung von Santarcangeli durchgesehen), waren Labyrinthe im Freien. Sie konnten sehr kompliziert sein, voller verschlungener Windungen. Aber ich brauchte ein geschlossenes Labyrinth (hat man je eine Bibliothek im Freien gesehen?), und wenn es zu kompliziert wurde, mit zu vielen Gängen und Innenräumen, hätte es Schwierigkeiten mit der Belüftung gegeben. Eine gute Belüftung war aber nötig, um den Brand zu entfachen (und dieser Punkt, daß mein Aedificium am Ende in Flammen aufgehen mußte, war mir von Anfang an klar gewesen, aber auch diesmal aus kosmologischhistorischen Gründen, denn im Mittelalter brannten Kathedralen und Klöster wie Zunder ab, und eine mittelalterliche Geschichte ohne Feuersbrunst wäre geradezu wie ein Kriegsfilm aus dem Pazifik ohne brennend vom Himmel stürzende Flugzeuge). So bastelte ich denn zwei bis drei Monate lang an der Konstruktion eines passenden Labyrinths, und am Ende mußte ich es mit Mauerschlitzen versehen, sonst wäre noch immer zu wenig Luftzug gewesen.

Wer spricht?
    Ich hatte viele Probleme. Ich wollte einen geschlossenen Ort, ein allseits abgedichtetes Universum, und zur besseren Abdichtung war es ratsam, außer der Einheit des Ortes auch die Einheit der Zeit einzuführen (wenn schon die Einheit der Handlung zweifelhaft war). Also eine Benediktinerabtei mit ihrem geregelten Tagesablauf im Rhythmus der kanonischen Stunden (vielleicht war der Ulysses das unbewußte Vorbild für den starren Aufbau nach Tageszeiten; aber es war auch der Zauberberg für den hochgelegenen und fast klinisch weltabgeschiedenen Ort, an dem so viele lange Gespräche stattfinden sollten).
    Die Gespräche stellten mir allerhand Probleme, aber die löste ich erst beim Schreiben. Zum Beispiel die heikle und in den Theorien über die Kunst des Erzählens wenig behandelte Frage der turn ancillaries, das heißt der Mittel, durch welche der Autor seinen Personen das Wort erteilt. Achten wir auf die Unterschiede zwischen folgenden fünf Dialogen:
    1 »Wie geht es dir?« »Nicht schlecht, und dir?«
    2 »Wie geht es dir?« sagte Hans. »Nicht schlecht, und dir?« sagte Peter.
    3 »Wie«, sagte Hans, »geht es dir?« Darauf Peter sogleich: »Nicht schlecht, und dir?«
    4 »Wie geht es dir?« fragte Hans besorgt. »Nicht schlecht, und dir?« gab Peter strahlend zurück.
    5 Da fragte Hans: »Wie geht es dir?« »Nicht schlecht«, erwiderte Peter mit tonloser Stimme, und fügte mit undefinierbarem Lächeln hinzu: »Und dir?«
    »Nicht schlecht«, erwiderte Peter mit tonloser Stimme, und fügte mit undefinierbarem Lächeln hinzu: »Und dir?«
    Außer in den zwei ersten Fällen haben wir unverkennbar die sogenannte »Enunziationsinstanz«: Der Autor interveniert mit einem persönlichen Kommentar, um dem Leser zu

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