Der Name der Rose
suggerieren, welchen Sinn die Worte der beiden annehmen können. Aber fehlt diese Absicht wirklich in den scheinbar neutralen Lösungen der beiden ersten Fälle? Und ist der Leser freier in den beiden neutralen Fällen, wo ihm eine Gefühlslage untergeschoben werden kann, ohne daß er es merkt (man denke nur an die Schein-Neutralität der Dialoge bei Hemingway), oder ist er freier in den drei anderen Fällen, wo er zumindest weiß, welches Spiel der Autor da mit ihm treibt?
Eine Stilfrage, eine Gewissensfrage, eine Frage der ideologischen Haltung und eine Frage der »Poesie«, nicht weniger als die Wahl eines Binnenreims oder einer Assonanz oder auch die Einführung eines Paragramms. In jedem Falle muß man versuchen, eine gewisse Kohärenz zu erreichen. Vielleicht kam mir in meinem Falle der Umstand zu Hilfe, daß alle Dialoge von Adson wiedergegeben werden, der ja nun wirklich unverkennbar die ganze Geschichte aus seiner Sicht erzählt.
Die Dialoge stellten mir noch ein anderes Problem: Inwieweit konnten sie »mittelalterlich« sein? Mit anderen Worten, ich merkte beim Schreiben, daß mein Buch die Struktur einer Opera buffa annahm, eines tragikomischen Melodrams mit langen Rezitativen und großen Arien. Die Arien (zum Beispiel die Beschreibung des Kirchenportals) imitierten die große Rhetorik des Mittelalters, und da fehlte es nicht an Modellen. Aber die Dialoge? An einem bestimmten Punkt begann ich zu fürchten, daß meine Dialoge sozusagen Agatha Christie würden, während die Arien Suger oder Sankt Bernhard waren. Ich machte mich also erneut daran, die mittelalterlichen Romane zu lesen, will sagen die höfischen Ritterepen, und entdeckte schließlich, daß ich – mit ein paar Freiheiten meinerseits – im großen und ganzen doch einen dem Mittelalter nicht unbekannten erzählerischen und poetischen Usus wahrte. Aber das Problem hat mir lange zu schaffen gemacht, und ich bin mir nicht sicher, ob ich den Registerwechsel vom Rezitativ zur Arie immer bewältigt habe.
Ein weiteres Problem war das verschachtelte Ineinander der Erzählerinstanzen, die Verpuppung dessen, der spricht. Ich wußte zwar, daß ich eine Geschichte mit den Worten eines anderen erzählte, und ich hatte ja auch im Vorwort darauf verwiesen, daß die Worte dieses anderen durch mindestens noch zwei weitere Instanzen gefiltert waren, nämlich durch Mabillon und Vallet, wenn man auch annehmen konnte, daß diese beiden den Text nur philologisch bearbeitet hatten, ohne ihn zu manipulieren (doch wer glaubte das schon?). Indessen stellte sich das Problem von neuem innerhalb der Erzählung, die Adson in der ersten Person vorträgt. Adson erzählt als achtzigjähriger Greis, was er als achtzehnjähriger Jüngling erlebt hat. Wer also spricht nun, Adson der Jüngling oder Adson der Greis? Beide natürlich, und das war gewollt. Das Spiel bestand darin, immer wieder den greisen Adson einzubringen, der über das, was er als Jüngling erlebt und empfunden hat, räsoniert. Das Vorbild dafür war (ohne daß ich den Roman noch einmal gelesen hätte, mir genügten vage Erinnerungen) der Serenus Zeitblom im Doktor Faustus . Dieses Wechselspiel mit zwei Erzählerstimmen hat mich sehr fasziniert und gepackt. Auch weil ich, um noch einmal auf die Frage der Maske zurückzukommen, durch diese Verdoppelung Adsons die Reihe der schützenden Trennwände zwischen mir als realer Person, als erzählendem Autor, erzählendem Ich, und den erzählten Romanpersonen samt dem fiktiven Erzähler-Ich noch einmal verdoppeln konnte. Ich fühlte mich immer geborgener, und die ganze Situation erinnerte mich (ich möchte fast sagen sinnlich, mit der Evidenz eines Geschmacks von in Lindenblütentee aufgeweichten Madeleines) an gewisse kindliche Spiele unter der Bettdecke, wenn ich mir vorkam wie in einem Unterseeboot, aus dem ich Botschaften an meine Schwester sandte, sie unter der Decke in einem anderen Kinderbett, wir beide isoliert von der Außenwelt und vollkommen frei, uns Fahrten ins Weite auszudenken, lange Erkundungsreisen auf den Grund schweigender Meere.
Adson war mir sehr wichtig. Von Anfang an wollte ich die gesamte Geschichte (samt ihren mysteriösen Vorfällen, ihren politischen und theologischen Ereignissen, ihren Ambiguitäten) mit der Stimme eines Chronisten erzählen, der durch das Geschehen wandert und alles mit der fotografischen Treue eines Heranwachsenden registriert, aber nichts begreift (und auch als Greis noch nicht voll begriffen hat, so daß er am Ende eine
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