Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
gemacht, dass sie noch am selben Tag, als sie mit dem Baby das Krankenhaus verließen, die Scheidung einreichten. Inzwischen ist Max-Ernest elf Jahre alt und kann schon lange sprechen. Aber immer wenn ihn die Eltern fragen, welchen Namen er bevorzugen würde, so wie jedes Jahr zu seinem Geburtstag, wird er stumm wie ein Fisch. Er weiß, sobald er einen Namen auswählt, entscheidet er sich auch für ein Elternteil, und wie die meisten Kinder will er genau das nicht.
So kommt es, dass Max-Ernest bis zum heutigen Tag zwei Namen hat und sie wahrscheinlich auch noch für den Rest seines Lebens haben wird.
Als Max-Ernest Kassandra auf dem Schulhof erspähte, war sie gerade dabei, mit bloßen Händen in der Erde zu wühlen. Unter ihren Fingernägeln sammelte sich Dreck und sie murmelte vor sich hin, dass sie besser Schutzhandschuhe übergezogen hätte. Es sah ihr gar nicht ähnlich, so unvorbereitet an etwas heranzugehen.
Sie starrte auf eine Stelle ganz in der Nähe, unterhalb der Tribüne, wo ein kleines, flauschiges graues Etwas im Gras lag: eine tote Maus.
Möglich, dass die Maus eines natürlichen Todes gestorben war, überlegte Kass. Aber warum roch es dann hier nach faulen Eiern? Was, wenn die Todesursache dieselbe war wie bei dem Magier? Was, wenn die ganze Stadt auf einer Giftmülldeponie erbaut worden war? Wenn sie nichts dagegen unternahm, wären alle Menschen, die sie kannte, zum Untergang verurteilt!
Oder sollte sie genau das zulassen? Vielleicht verdienten es die Menschen ja nicht anders.
Falls du es noch nicht erraten hast, Kass hatte heute einen schlechten Tag.
Am Morgen hatte sie ihrer Schuldirektorin, Mrs Johnson, mitgeteilt, sie hätte Grund zu der Annahme, dass die Schule auf einer Giftmülldeponie stehe. Gleichzeitig hatte sie vernünftigerweise vorgeschlagen, die Schule räumen und das Erdreich umgraben zu lassen.
Mrs Johnson, die eine Prinzipienreiterin war (»Eine Direktorin mit Direktiven«, wie sie es selbst bezeichnete), musterte Kass streng. »Wie lautet das Zauberwort, Kassandra? Ganz gleich, ob du um ein Glas Wasser bittest oder um eine Evakuierung der Schule?«
»Bitte, lassen Sie die Schule räumen«, sagte Kass ungeduldig.
»So ist es besser. Die Antwort lautet Nein. Was habe ich dir schon einmal über blinden Alarm gesagt?«
Von da an wurde der Tag noch schlimmer.
»Du siehst aus, als könntest du einen Smoochie vertragen.«
Amber fing Kass auf dem Rückweg vom Direktorat ab und es gab kein Entkommen. Das gab es bei Amber nie.
Amber war das netteste Mädchen in der Schule und das dritthübscheste. *
Ambers einziger Fehler, den man wohl eher einen reizenden Fimmel nennen sollte, bestand darin, dass sie, wie sie es selbst gern umschrieb, »total süchtig« nach einer bestimmten Marke Lippenbalsam war, ebenjenen samtweichen, superfeuchten Smoochies ** von Romi und Montana (Romi und Montana Skelton, auch bekannt als die Skelton-Schwestern, waren reiche Teenie-Erbinnen und Fernsehstars, die über ein eigenes Kosmetikimperium herrschten und von Amber »total verehrt« wurden). Jede Woche hatte Amber einen Lippenbalsam mit neuer Geschmacksnote und verschenkte den alten. Für die meisten Schüler war es eine große Ehre, einen von Ambers abgenutzten Smoochies zu bekommen, und sie hängten ihn sich um den Hals wie eine olympische Medaille. Kass aber wusste, dass sie nur deshalb so viele bekam, weil Amber Mitleid mit ihr hatte.
* Niemand konnte sagen, woher diese Beurteilung stammte; es waren Tatsachen, so wie die Schwerkraft oder Mrs Johnsons Hüte.
** Sprich: Smuutschies
Und Kass hasste es, wenn andere sie bemitleideten.
Jedes Mal wenn sie einen Smoochie annahm, schwor sie sich, beim nächsten Mal abzulehnen, aber Amber schaffte es immer wieder, Kass zu überrumpeln, wenn sie gerade nicht auf der Hut war. Ehe Kass sich’s versah, murmelte sie schon ein Dankeschön und stopfte einen weiteren Balsamstift tief in ihre Tasche.
An diesem Vormittag war Amber in Begleitung von Veronika, dem zweithübschesten Mädchen der Schule (aber nicht einmal das viert-oder fünftnetteste). Während Veronika sich noch darüber ausließ, wie liebenswürdig es von Amber war, Kass ihren Wassermelonensuperpflegebalsam zu überlassen (als sei es eine extragute gute Tat, den Smoochie ausgerechnet Kass zu geben und nicht irgendjemand anderem), grübelte Kass, wie sie deren Unterstützung beim Giftmüllproblem bekommen konnte. Wenn es ihr gelänge, sowohl Amber als auch Veronika auf ihre Seite zu
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