Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
Kass. »Egal, das hier sieht aus wie eine Rezeptsammlung . . . Siehst du? Symphonie Nummer neun – Wacholder, Schokolade, Piment . . . Sonate Nummer zwölf – Minze, Rosmarin, Lavendel . . . Ich schätze, es ist die Duftversion eines Musikstücks. So wie Duftglückwunschkarten – erst rubbeln, dann schnüffeln.«
»Das bezweifle ich. Wie soll das gehen, eine Duftversion von Musik?«, fragte Max-Ernest, der, wie du weißt, immer logisch dachte. »Musik besteht aus Tönen.«
»Das weiß ich doch. Ich meine ja auch nicht, dass es echte Musik ist. Es ist nur so ein witzige Vorstellung, ich weiß auch nicht ...sowie Elfen und Orks. Hier, sieh mal . . .« Sie hielt eine handgezeichnete Übersicht hoch und las laut vor: »Erste Geige: Ingwer. Viola: Ahorn. Cello: Vanille.«
»Soll das ein Orchester sein?«
»Genau, die Symphonie der Düfte. Hier ist die Oboe. Die spiele ich. Zu ihr gehört Lakritze.«
»Hm«, murmelte Max-Ernest und dachte über eine Verbindung zwischen Oboe und Lakritze nach. »Warum ausgerechnet Lakritze? Magst du Lakritze?«
»Nicht die schwarze. Aber die Oboe mag ich auch nicht.«
»Ich verstehe immer noch nicht, was Gerüche mit Musik zu tun haben«, sagte Max-Ernest.
»Vielleicht sollten wir versuchen, etwas zu spielen«, sagte Kass und deutete auf das Notenblatt. »Oder besser gesagt, etwas zu riechen.«
Anhand der Übersichtstafel wählten sie ihre »Musikinstrumente« aus. Sie versuchten, Beethoven zu riechen, dann Mozart, dann eine Symphonie von Franz Liszt. Alle Musikstücke rochen sehr gut, außer Liszt, trotzdem musste Kass schließlich zugeben, dass sie das nicht viel weiterbrachte.
Sie legten die Fläschchen wieder zurück in die Holzkiste. Dabei fiel ein zerknittertes Blatt Papier heraus und wurde vom Wind weggewirbelt. Kass fing es wieder ein, bevor es im Mist landete. Es war fleckig und zerfleddert und an den Rändern angesengt, aber das Geschriebene war noch lesbar.
»Eine Botschaft für die Winde«, las Kass laut vor. »Um sie zu verstehen, musst du sie zuerst riechen.« Darunter standen die Namen von fünf Instrumenten:
Klarinette
Querflöte
Oboe
Fagott
Piccolo
»Meinst du, es ist eine verschlüsselte Nachricht?«, fragte Kass.
Max-Ernest nickte. »Ganz bestimmt! Das sieht man doch. Ich wette, wir müssen nur die Instrumente in Gerüche verwandeln.«
Mithilfe der Übersichtstafel schrieben sie die Namen der entsprechenden Duftnoten auf. Und das kam dabei heraus:
Heliotrop
Igelkopf
Lakritze
Fenchel
Erdnussbutter
Gespannt nahmen sie die jeweiligen Phiolen aus der Kiste und rochen in der genannten Reihenfolge daran.
Sie sahen sich erwartungsvoll an, als hätten sie gerade einen Zauber ausgesprochen, und warteten darauf, dass ein Geist erschien.
Nichts passierte.
Also versuchten sie, alle Gerüche gleichzeitig zu riechen, aber das verwirrte ihre Geruchsnerven nur noch mehr.
»Ich schätze, unsere Nasen sind nicht fein genug«, seufzte Max-Ernest.
»Oder es ist gar keine verschlüsselte Nachricht«, sagte Kass und legte das Blatt Papier zurück in die Holzkiste.
Max-Ernest nahm es wieder heraus und betrachtete es. »Ist dir aufgefallen, dass da zuerst riechen steht?«, fragte er.
»Tja, und?«
»Na ja, sieh dir doch mal die ersten Buchstaben an: Heliotrop – das ist übrigens die Sonnenwinde – für H, Igelkopf – das ist der Sonnenhut, hab ich irgendwo mal gelesen –, also Igelkopf für I, Lakritze für L, Fenchel für F und Erdnussbutter für E. H-I-L-F-E. Es heißt: Hilfe!« »Das stimmt!«, rief Kass, wider Willen beeindruckt. »Aber in einem täuschst du dich.«
»Und das wäre?«
»Es heißt nicht Hilfe, es riecht danach!«
Max-Ernest lachte, um gleich darauf ein wenig zu schmollen. Wieso waren ihre Witze lustig?
»Hey, Max-Ernest«, sagte Kass plötzlich.
»Was gibt’s?«
»Was, wenn sie ernst gemeint ist?«
»Wer?«
»Die Botschaft. Glaubst du, sie kommt von dem Magier? Schau dir das Blatt Papier an – sieht ganz danach aus, als hätte es ein Feuer gegeben. Was, wenn es wirklich ein Hilferuf ist?«
Sie sahen einander an und spürten, wie es ihnen kalt über den Rücken lief.
»Dann war es nicht die allerbeste Idee, auf diese Weise um Hilfe zu rufen, findest du nicht?«, sagte Max-Ernest etwas langsamer als üblich. »Er hätte doch einfach die Polizei alarmieren können. Oder die Feuerwehr. Ich nehme an, er wollte nicht, dass es öffentlich bekannt wird. Vielleicht war der Hilferuf für eine ganz bestimmte Person
Weitere Kostenlose Bücher