Der Nebelkönig (German Edition)
und sie
schritt damit um den Tisch, und danach lief sie mit Rot und Weißweinflaschen,
einer Wasser Karaffe, einem Krug mit schäumendem Bier und einer Sekt Bouteille
rund um die Tafel und schenkte nach.
Kaum hatte sie das erledigt,
folgten das Abräumen der leeren Teller und der zweite Gang. Sallie ging mit
Geschirr herum, auf dem allerlei skurril aussehendes Meeresgetier lag, während
die beiden Köche Platten mit gebackenen, gegrillten und gesottenen Fischen auf
die Tafel hievten. Der Dunst von Knoblauch und scharfen Saucen hing in der
Luft.
Wieder machte sie die Runde
mit ihren Flaschen, Krügen und Karaffen. Teller abräumen, neue Teller bringen.
Der Fleischgang. Geflügel und Braten, ein ganzer Schinken im Brotteig,
buttertriefendes Gemüse und glänzende Kartoffelscheiben. Besteck klapperte und
Gläser klangen, die Stimmen wurden lauter und fröhlicher, die Luft immer
schwerer und wärmer.
»Eine kleine Pause«, rief der
Kammerherr nach diesem Gang und wischte sich mit der Serviette über das rot glänzende
Gesicht. »Ich brauche ein wenig Bewegung.«
Zwei der Herren erhoben sich
und gingen ans andere Ende des Raumes, wo das Rauchtischchen mit Pfeifen und
Zigarren lockte.
Die anderen rückten sich
bequem an der Tafel zurecht, streckten die Beine, öffneten vielleicht
unauffällig den einen oder anderen Knopf an Weste oder Hosenbund und parlierten
träge mit ihren Nachbarn.
Sallie ließ sich im Vorraum
auf einen Stuhl sinken und massierte ihre Beine. »Tun mir die Füße weh«,
flüsterte sie.
Endrit, der gähnend neben ihr
auf einer Truhe hockte, griff in die Tasche seiner Kochjacke und reichte ihr
eine kleine Taschenbouteille. »Du hältst dich wacker«, sagte er. »Trink einen
Schluck, das hilft gegen die Müdigkeit.«
Sallie entkorkte das
Fläschchen und rümpfte die Nase über den scharfen Dunst, der ihr entgegenstieg.
Das war der Pflaumenschnaps, den der alte Gärtner hinten in seinem Häuschen
brannte. Sie nahm einen beherzten Schluck, bei dem ihr die Tränen in die Augen
stiegen. Hustend und sich die Augen wischend gab sie das Fläschchen zurück.
Endrit grinste anerkennend und trank die Bouteille leer, ehe er sie mit einem
dezenten Rülpser verkorkte und wieder in seine Tasche schob.
Die Tür öffnete sich und Imer
schob einen mit Schüsseln und Schalen beladenen Wagen herein. »Auf, ihr Faulpelze«,
sagte er. »Hier kommt der nächste Gang.«
2
Platten mit kunstvoll
dekorierten Pasteten und goldbraunen, delikat gefüllten kleinen Vögeln
wanderten auf den Tisch, Teller mit kleinen Gebirgen von winzigen Knöchelchen
und fettglänzenden, verschmierten Saucenlachen kamen wenig später in den
Vorraum zurück.
Das Mahl nahm kein Ende. Sallie
schleppte Teller, Flaschen, Gläser, Platten, Körbe, Schüsseln in endloser Folge
um den Tisch, bis ihr Kopf vor Erschöpfung brummte.
Die Luft im Speiseraum war
dick zum Schneiden, und durch die regelmäßigen Pausen, in denen eifrig geraucht
wurde, hing der Rauch inzwischen bis beinahe zum Tischtuch hinunter und verschleierte
die Gestalten der Tischgäste wie dichter Nebel.
Sallie räumte leere Flaschen
unter den Serviertisch und ließ sich von Imer geöffneten Nachschub reichen, da
sprang mit einem Mal die Tür zum Gang auf. Ein Schwall frischer, eiskalter Luft
schlug herein wie ein Wintersturm und verdrängte für einen Moment den Nebel und
das stete Brummen aus Sallies Schädel.
Die beiden Köche erstarrten,
als hätte die kalte Luft sie plötzlich zu Eiszapfen gefroren. Sallie sah zur
Tür. Die Gänsehaut, die die Härchen auf ihren Armen aufrichtete, kam nicht
allein von der Kälte. Eine tiefe, tintenschwarze Dunkelheit löschte das Licht
der Kerzen und Öllampen aus. Der Eiswind zerrte an ihren Kleidern und trug
Stimmen mit sich, die fern und herzzerreißend klagend in ihren Ohren klangen.
Wie ein Vorhang riss die
Dunkelheit in der Mitte entzwei, kaltes Licht flutete herein und blendete sie.
Sallies Erstarrung löste sich und sie legte in einer schützenden Geste die
Hände vors Gesicht.
Endrits Stimme zischte:
»Sallie! Was ist los?«
Sie riss die Hände herunter
und stand verwirrt da, während Imer mit einem Kratzfuß die Eingangstür hinter
einem schwarz gekleideten Mann mit silbernem Gehstock schloss. Sallie starrte
ihn an. Er war nicht besonders groß und eine Schulter stand etwas höher als die
andere. Sein Rock war schlicht, aber gut geschnitten, das Jabot fiel tadellos
über seine Brust, die
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