Der neue Daniel
durch Glas.
Zuweilen kamen Briefchen ins Haus ohne Unterschrift; törichte kleine Frechheiten oder dumme Bedrohungen, die er ostentativ auf dem Balkon zerriß und in die Gegend streute. Wenn er mit den zwei oder drei Bekannten telephonierte, die in der Stadt halb aus Notwendigkeit oder weil sie nichts zu riskieren hatten, zu ihm hielten, so geschah es fast regelmäßig, daß er während der Unterhaltung ein verdächtiges kleines Geräusch hörte, das ihm zeigte, daß irgendwo ein neugieriges Ohr sich an den Draht angeschmiegt; daß irgendein von »Patriotismus« fieberndes altes Weib im Dienste der Regierung seine natürliche Neugier offiziell befriedigte.
Er schloß ein solches Gespräch dann gewöhnlichmit einer ziemlich groben Bemerkung ab, die auf den Lauscher gemünzt war, und sorgte so dafür, daß neue Rachegefühle gegen ihn entstanden. Ihn freute das.
Er saß ja leidlich sicher verschanzt; und das wenige Gift, das er auszuscheiden in der Lage war, kam so an die richtige Adresse.
Mit Mildred unterdessen stand es so: Um acht Uhr erhob sie sich und nährte das Kind. Es war ein dunkelblonder Knabe, nun acht Monate alt. Er gehörte ihr allein. Sie ließ niemanden an ihn heran. Er war die Frucht tiefer Qual.
Das Frühstück, das in eine Tageszeit verlegt wurde, wo man es mit dem Mittagessen verbinden konnte, half Erwin ihr zubereiten. Sie tischten es sich gegenseitig auf ohne viel Zeremonie, in vollster Apathie, auf je einen Teller. Manchmal beschränkten sie sich sogar auf die Küche, um sich nicht gegenseitig unnötige Arbeit zu machen.
Denn sie hatten das Gefühl, daß sie sich gegenseitig in Ruhe lassen mußten. Zuweilen in Momenten, wo irgend etwas halbwegs Neuartiges sich ereignete, konnten sie sich wohl auch einen Kaffee brauen oder ihr altgewohntes Halma spielen; aber selbst diese beschaulichen Gewohnheiten versickerten im Triebsand tödlichsten Stumpfsinns. Selbst das Erwin sich noch vollständig anzog, war fast ein Wunder zu nennen; Mildred beschränkte sich darauf, ein waschleinenes Kleid auseinem Stück zu tragen, und ihn konnte man wohl auch tagelang in seinen Pyjamas beobachten.
Mildred lebte wie ein Uhrwerk. Sie stand auf, verrichtete die Obliegenheiten des täglichen Daseins, die sie auf das geringste Maß zusammenstrich, mit Unlust, ging früh ins Bett und stand mit derselben Unlust wieder auf. Das einzige, was ihrem Dasein noch eine Art Inhalt zu geben schien, war das Kind. Bei dem leisesten Schrei erhob sie sich und sah nach seinen Bedürfnissen. Sie redete selten und lachte nie. Ihr Gesicht war wie gefroren, ihre Augen stets halb geschlossen, ihr Kopf hing vornüber und aus ihrer Figur war jene Straffheit gewichen, die Erwin früher so an ihr geliebt; jene selbstbewußte Inangriffnahme des Lebens, in welcher Form es auch kommen wollte. Sie war versteinert.
Zuweilen mit einer rührenden Bewegung legte sie ihm die Hand auf die Schultern und ließ ihren Arm wie ein Stück Holz auf dem seinen ruhen. Er strahlte keine Wärme mehr aus, dieser Arm. An ihren Mundwinkeln saßen zwei scharfe Falten und ihr Blick hob sich ihm nicht mehr licht, frei und verheißungsvoll entgegen wie früher, da sie ihm sagte: »Hab nur Geduld, der Wahnsinn muß ja doch einmal zu Ende gehen.« Nein, sie drehte ihre Pupillen fast mit Mühe in die Höhe, wenn er ihr Kinn hob und wenn sie sich ansahen, so war es, als stelle man zwei halbverwaschene Bilder einander gegenüber.
Die Zeitungen häuften sich dick in der Ecke auf.Man würdigte sie keines Blickes mehr. Druckerschwärze prahlte wild wie früher, doch diese blechernen Alarmklänge wirkten nicht mehr, vermochten nicht einmal mehr schwachen Ekel zu erzeugen.
Was Erwin von den Vorgängen erfuhr, bezog er zum Teil von Mildred, und es gelang ihm, sie für Momente gesprächig zu machen, wenn er ihr nahelegte, ein Glas der Flüssigkeit, die sie ihm jetzt halb verzieh, zu sich zu nehmen.
Wenn das Kind schlief und sie fühlte die sanfte Wärme des Alkohols in den erschlafften Gliedern, dann gab sie Erwin zuweilen kurze dramatische Schilderungen. Widerwillig gab sie sie, doch mit einer Plastik und einem Darstellungsvermögen, die ihn bezaubern konnten, da er die so tief und schändlich vergewaltigten Talente wiederum witterte, die in diesem Wesen vergebens nach Ausdruck rangen.
Der Vierminuten-Mann
Die Hetze war in vollstem Schwang. Es war eine Massensuggestion, die in ihrer Schärfe und ihrer Vollkommenheit an eine akut um sich fressende und Orgien feiernde
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