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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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oder Erlebten.
    Und sie begann damit, daß Mildred auf einem Gang in die Stadt den Pastor Kielwasser traf. Sie unterhielt sich eine Weile mit ihm, und was der sanfte Mann zu berichten wußte, teilte sie Erwin bald darauf mit.
    Er sagte: »Kannten Sie nicht einen Herrn Zuckschwerdt? Ich habe einen Brief bekommen, daß der Ärmste im Internierungslager – ich muß leider wohl sagen – absichtlich zugrunde gegangen ist. Man gab ihm ja wohl genug zu essen, aber er bekam es mit der Stacheldrahtkrankheit und das ist, wie Sie wissen, eine Sache, die nur durch geistlichen Zuspruch zu lindern gewesen wäre. Er fühle sich wohl, schreibt der Bedauernswerte noch; er verlange nichts weiter, als daß man sich seiner wohlwollend erinnere, und so mag es wohl ein Gemütsleiden gewesen sein, das ihm das Leben vergällt. Von anderen Leutenhörte ich, daß er sehr sanft und umgänglich gewesen sei; ein guter Kamerad, will mir scheinen. Seine letzten Worte waren: Er sehe, daß nun drüben alles verloren sei, und da er nicht im aktiven Dienst stehe, so komme es ihm vor, als müsse er in der nahen Katastrophe sich selbst als Opfer darbringen. Irgendwie sei dadurch vielleicht anderen moralisch geholfen.«
    Erwin erschrak.
    Er hatte Zuckschwerdt schier vergessen. Der Mann war über die Bühne seines Lebens geschritten und hinter der Kulisse verschwunden, wie ihn dünkte, ohne irgendwelche Spuren in seinem Gedächtnis zurückzulassen, höchstens ein paar nachklingende Unlustgefühle, mit denen er sich schnell genug abgefunden.
    Jetzt aber kam ihn ein leises Staunen an.
    Der Leutnant trat wieder hinter der Kulisse hervor und kam im Stechschritt bis vorn an die Rampe.
    Er trug noch das bunte Hemd. Er blitzte mit seinen Dachaugen zu ihm herüber. Eckig stand er da und es fiel ihm nicht ein, Kompromisse zu schließen.
    Er war auch ein Vierminuten-Mann, aber keiner von der Sorte, wie man sie hier kannte.
    Kein Beifallsklatschen aus dem Weißen Haus scholl hinter ihm und gab ihm Kontur.
    Kein Massenbetrieb, von Frachtzügen zusammengeschleppt und mechanisch in alle Winde verteilt aus unerschöpflichem Born wickelte sich hinterihm ab. Kein Mann in Zylinder betrachtete ihn aus der Ferne mit warnendem Zeigefinger.
    Nein, was hinter ihm stand, war ein Koloß, der keine Form hatte; vielleicht ein zersprengtes Standbild aus Granit, aus dunklen Quadern getürmt, das dennoch seine edle Urform nicht verleugnete: – etwas sphynxhaft Schweigendes, Ursprüngliches, tief von orphischen Formeln Umrauschtes, das zu enträtseln sehr schwierig war und menschenleben-lange Andachten erfordern mußte.
    Wie seltsam nahm sich doch des Leutnants Figur vor so neuem Hintergrunde aus!
    Keine im Massendrill vorüber stampfende Kolonne, von eitlen Farben blitzend oder von schimmerndem Lack und Ordenssternen durchsetzt, zog hinter ihm vorbei. Kein Mann im Dreispitz tänzelte da auf einem Schimmel vorüber. Da war kein Prunk von Schabracken, kein Blitzen von Knöpfen an den Schoßwesten verschollener Epochen; kein Gefunkel von Zierdegen, keine Bühne für einen halbspielerischen, halb brutalen Militarismus mehr –: sondern da gab es nur eine formenarme Menschenmasse, die, von einer dunkeln Notwendigkeit getrieben, um die zerborstenen Quadern sich mühte, um sie wieder aufzubauen, und die keinem Sklavenhalter folgte, sondern deren jeder aus dumpfem Drang heraus still und geschäftig schuf.
    Zuweilen machten sie eine Pause, und Erwin glaubte, viele Gesichter zu bemerken: – keine geduckten Köpfe mehr, sondern auf aufrechtenNacken getragene, deren Ausdruck in einem seltsamen Besserwissen erglänzte, einer Art trotziger Überzeugung; und es klang murmelnd, aber deutlich genug durch den noch unharmonischen Stimmentumult: »Das frühere konnten wir; – aber das jetzige können wir auch !«
    Zuckschwerdt blitzte noch eine Weile in den leeren Zuschauerraum von Erwins Brust hinein. Ich muß mich selbst mit Publikum füllen, erkannte Erwin, um diesen stummen und ungelenken Schauspieler zu würdigen; denn für mich allein ist er zu problematisch.
    Ist er nicht brutal? Ist er nicht eine vernichtungswerte Ausgeburt von früher? Nein, es scheint doch, daß er Reserven hat. Er kontrolliert einen größeren Apparat, als ich dachte: Er macht das neue auch.
    Man brauchte ihn früher und so tat er mit. Er war treu denen, die ihn falsch gebrauchten und wird denen treu sein, die seine Energie in die richtigen Kanäle leiten.
    Heil dir, mein Guter! Du warst unerquicklich, du fielst nicht

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