Der neue Frühling
sehen, denn sie werden sie auch gegen dich einsetzen, wenn du nächstesmal auf sie stößt.«
»Also kam es zu einer Traumschlacht. Und zu einer großen Niederlage.«
»Ja. Einer sehr schweren Niederlage.«
»Und euer Vater, der König?«
Chham wies mit dem Kinn über die Schulter zu dem größten Zelt hinüber. »Er lebt noch. Aber du würdest ihn nicht wiedererkennen. Mein Bruder Athimin ist tot. Und der kleine Biterulve ebenfalls.«
»Ach! Auch Biterulve…«
»Und mein Vater ist schwer verwundet worden. Aber er ist auch innerlich anders geworden, sehr viel anders. Du wirst es ja sehen. Es war schierstes Glück, daß wir überhaupt davongekommen sind. Es erhob sich ein plötzlicher Sturm. Die Luft war voll von Staub und Sand. Die Hjjks konnten nicht mehr sehen, wo wir waren. Also haben wir uns unbemerkt verzogen. Und da sind wir jetzt, Prinz. Da sind wir, Thu-Kimnibol.«
»Der König? Wo?«
»Komm, ich führe dich zu ihm.«
Der eingeschrumpfte schwächliche Mann, der da im Zelt auf einer Pritsche lag, sah dem Salaman recht wenig gleich, den Thu-Kimnibol gekannt hatte. Das weiße Fell war stumpf und feuchtverklebt. An einigen Stellen war er völlig kahl. Auch die Augen blickten dumpf und glanzlos, diese weitstehenden grauen Augen, die einstmals so bohrend blicken konnten. Der Oberkörper wirkte unter den Bandagen wie eingesunken und sehr zerbrechlich. Salaman schien es nicht wahrzunehmen, daß Thu-Kimnibol ins Zelt getreten war. Ein dürres altes Weib, das er als die Oberste Opferfrau der Yissou-Stadt erkannte, hockte an seinem Lager, und heilige Talismane waren überall ringsum ausgebreitet.
»Wacht er?« flüsterte Thu-Kimnibol.
»So ist er schon die ganze Zeit.« Chham trat einen Schritt vor. »Vater? Prinz Thu-Kimnibol ist hier.«
»Thu-Kimnibol?« Ein schwaches papierenes Flüstern. »Wer?«
»Harruels Sohn«, sagte Thu-Kimnibol ruhig.
»Ah ja, der Kleine vom Harruel. Samnibolon heißt er. Hat er sich einen neuen Namen zugelegt? Wo ist er denn? Sag ihm, er soll näher kommen.«
Thu-Kimnibol blickte auf den Mann da hinab. Es war ihm fast nicht möglich, diesem leergebrannten Blick zu begegnen.
Salaman lächelte. Mit derselben dünnen Stimme fragte er: »Und wie befindet sich dein Vater, Junge? Der gute König und große Krieger Harruel?«
»Mein Vater ist schon lange tot, mein Cousin«, sagte Thu-Kimnibol freundlich.
»Ach? Ach ja, das stimmt ja.« Ein kurzes Erkennen zuckte in seinen Augen auf. Salaman bemühte sich, sich von seinem Lager aufzurichten. »Sie haben uns besiegt. Hat Chham dir das gesagt? Ich hab zwei Söhne auf dem Schlachtfeld verloren – und Tausende andrer Männer. Sie haben uns glatt in Stücke gehauen. Na, wir haben es ja auch nicht besser verdient, um die Wahrheit zu sagen. Was für eine absolute Idiotie das war, sie zu bekriegen und wie die Trottel in ihr Gebiet einzumarschieren! Es war Wahnsinn, nichts weiter als Wahnsinn. Das erkenne ich nun. Und du vielleicht auch, Samnibolon. Wie? Erkennst du es auch?«
»Seit vielen Jahren nennt man mich Thu-Kimnibol!«
»Aber ja, natürlich. Thu-Kimnibol.« Salaman brachte ein kleines Lächeln zustande. »Und wirst du den Kampf fortsetzen, Thu-Kimnibol?«
»Bis der Sieg unser ist, ja.«
»Es wird niemals einen Sieg geben. Die Hjjks werden dich zurückwerfen, wie sie es mit mir getan haben. Sie werden dich in Träumen ersäufen.« Langsam, denn anscheinend bereitete es ihm Mühe, bewegte Salaman den Kopf verneinend her und hin. »Dieser Krieg war ein Fehler. Wir hätten ihr Vertragsangebot annehmen und eine Grenzlinie durch die Welt ziehen sollen. Ich sehe das jetzt ein, aber jetzt ist es zu spät. Zu spät für meinen Biterulve, zu spät für Athimin, zu spät für mich.« Er stieß ein hohles Lachen aus. »Aber mach du nur, wie es dir beliebt. Für mich ist der Krieg zu Ende. Und ich wünsche mir nun nichts weiter, als daß die Götter mir vergeben mögen.«
»Vergeben? Was?« Zum erstenmal erhob Thu-Kimnibol die Stimme über das in Krankenstuben übliche Murmeln.
Chham zupfte ihn am Arm, wie um ihm zu erklären, daß der König für derlei Auseinandersetzungen nicht mehr kräftig genug sei. Doch Salaman sprach – und nun ebenfalls mit lauterer Stimme: »Vergebung wofür? Dafür, daß ich meine Krieger in dieses Drecksland geführt habe, damit sie hier niedergemetzelt werden. Dafür, daß ich getreue Akzeptänzer ins Verderben geschickt habe, und das Expeditionskorps, das ihnen folgte, auch… Und das alles bloß, um einen
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