Der neue Frühling
Früchte, die aussahen, als könnten sie den Durst für einen ganzen Mondwechsel stillen. Dichte Büsche mit bläulich-feucht schimmerndem pelzigen Laub trugen unglaublich große Büschel glänzender lavendelblauer Beeren. Das Gras stand dicht und voller saftiger scharlachschimmernder Halme und schien geradezu auf die entzückte Gier hungernder Wanderer zu warten.
Und diese ausgelassenen Schwärme träge lärmender Vögel; leuchtendweiß im Gefieder mit auffälligen karmesinroten Streifen über den mächtigen Schnäbeln… die kleinen lauten großäugigen Vierfüßer, die durch den niedren Pflanzenwuchs wuselten… die kleinen geflügelten Insekten mit ihrem regenbogenfarbenen Schwingenschwirren…
Zu viel, dachte Kundalimon, zu viel, zu viel. Viel, viel zu viel. Er vermißte die Kargheit der nördlichen Heimat, die trockenen kargen Ebenen, wo ein Streifen dürren Grases Anlaß zu Freudengesängen war und wo man seiner Nahrung sich mit der schicklichen Ehrfurcht näherte, weil man wußte, was für ein Glück einem zuteil wurde, wenn man ein Säcklein harter altersgrauer Saatkörner und einen Schnitz braunen Trockenfleisches bekam.
Ein Land so wie dies hier, das von allerlei Nahrung strotzte, die man sich überall einfach nur zu nehmen brauchte, erweckte irgendwie den Eindruck der Disziplinlosigkeit, ja sogar der Verzärtelung. Ein Ort für gemütlichen Schlendrian und ein scheinbares Paradies. Aber mußte dies nicht am Ende alles – unter dem Deckmantel der Wohlfahrt – sich als Schaden für die arglosen Landesbewohner erweisen? Wo dem Menschen die Nahrungsaufnahme zu leicht gemacht wird, folgt daraus unvermeidlich die Schädigung der Seele. An einem Ort wie diesem hier kann man mit vollem Bauch rascher verhungern als mit einem leeren.
Und doch war genau dieses Tal der Ort, an dem Kundalimon geboren worden war. Nur hatte eben der Ort ihn kaum nachhaltig genug geprägt. In zu jungen Jahren war er von hier fortgenommen worden. Kundalimon stand in seinem siebzehnten Sommer, und seit dreizehn Jahren hatte er unter den Dienern der Königin hoch droben im Norden gelebt. Er war nun Angehöriger des ‚Nests’. Nichts an ihm verriet noch den ‚Fleischling’ – außer seiner Fleischhaftigkeit selber. Sein Denken war nestklares Denken, seine Seele die Seele eines Nestlings. Wenn er sprach, waren die Laute, die ihm am geläufigsten über die Zunge kamen, die des scharfzischenden Tonfalls der Hjjk. Aber, so sehr er sich auch dagegen sträuben mochte, Kundalimon wußte, daß tief unter dem allem unentrinnbar die Wahrheit seiner Fleischlichkeit lag. Seine Seele, sein Denken mochten nesthaft sein, aber sein Arm war Fleisch; sein Herz war Fleisch; und auch seine Lenden waren Fleisch… und nun endlich kehrte er hierher zurück, an diesen Ort der Fleisch-Leibhaftigkeit, an dem sein Leben begann.
Die Stadt der Fleischlinge war ein Labyrinth aus weißen Mauern und Türmen, das sich an wohlgerundete Berghügel am Ufer eines unermeßlichen Ozeans schmiegte. Genau so hatte es der Nest-Denker gesagt. Die Stadt schwang sich hinauf und quoll wie ein gigantisch wuchernder Organismus über die hohen grünen Hügelkämme hinaus, die um die geschwungene Bucht lagen.
Es war so merkwürdig, so oberirdisch, so – ausgesetzt zu sein in diesem verwirrenden Gewirr verschiedenartiger und ineinander verstrickter Strukturen… und sie waren alle so starr und hart, so ganz unähnlich dem weichen geschmeidigen Gang in den Korridoren des Nests… und dazwischen diese unvertraut gähnenden offenen Räume.
Wirklich, ein fremdartig abstoßender Ort! Und dennoch: auf seine Art schön. Wie war so etwas möglich, schön und widerwärtig zugleich? Für einen Augenblick geriet sein Mut ins Wanken. Ihm wurde wieder deutlich, daß er weder Fleischling noch Nestling war, und er kam sich auf einmal sehr verloren vor, wie eine Kreatur im unbestimmten dünnen Nebeldunst, keiner der zwei Welten zugehörig.
Es währte nur kurz. Seine Ängste verflogen, und Nestkraft erfüllte ihn aufs neue. Er war ein getreuer Diener der Königin, wie also sollte er versagen können?
Er warf den Kopf zurück und saugte die warme aromageschwängerte Brise in die Lungen, die von Süden wehte. Schwerbeladen mit Stadtdüften und dem Geruch der Fleischlinge, wie dieser Wind war, stachelte er Kundalimons Körper zu einer akuten Hitzereaktion an: die Antwort auf den Ruf des Fleisches. Und das ist recht so, dachte er, denn ich bin Fleisch; und trotzdem bin ich Teil des Nests. Ich
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