Der Neue im Sportinternat
reicht. Seen und Maare sind ebenfalls zu entdecken, genau wie Felder und Äcker. Die Eifel zeigt sich in ihrer ganzen Pracht! Vor einer Ewigkeit hat Claude die Autobahn verlassen und fährt nun eine Landstraße entlang. Immer wieder tauchen vereinzelt Bauernhöfe und alte Gemäuer auf.
Weder Leon noch Claude kommentieren die Landschaft. Beiden steht nicht der Sinn danach. Unter anderen Umständen hätten sie sich gemeinsam daran erfreuen können, weil es wirklich sehr viel Schönes zu sehen gibt. Doch manchmal erfreut selbst das Schöne nicht, weil man drauf pfeift und sich nicht drum schert. Man dreht dem den Rücken zu, denn es ist nicht wichtig, nicht in diesem Moment, der einer Blase des Grams gleicht. Leon wünschte, er könnte diese Blase zum Platzen bringen, ähnlich wie seine Kaugummiblasen. Aber das funktioniert nicht.
Ein Ortsschild kommt in Sichtweite. Fronberg. Das Ortsschild wirkt auf Leon wie ein Wegweiser zum Vorhof der Hölle! Leon wünschte, die Fahrt mit Claude würde niemals enden! Mit den Händen hält er sich am Sitz fest, ohne dass es ihm bewusst ist. Er ist nervös und hat ein flaues Gefühl im Magen wie nach einer Achterbahnfahrt mit endlosen Loopings.
Claude drosselt die Geschwindigkeit, als er in die Ortschaft einfährt. Fronberg ist ein kleines Städtchen. Auf den ersten Blick sieht alles sehr verschlafen aus, und der zweite Blick ist lediglich eine Bestätigung. Das große Leben findet hier bestimmt nicht statt. Alte Fachwerkhäuser reihen sich aneinander. Auf den äußeren Fensterbänken sind Blumenkästen, die die Fenster schmücken. Ein Haus sieht wie das andere aus. Es gibt wenige kleine Geschäfte, Gaststätten, einen Marktplatz und eine Kirche. Die Straßen sind auffallend sauber. Viele Einheimische sind nicht zu sehen, das mag daran liegen, dass Sonntag ist. Fronberg scheint die Bürgersteige hochgeklappt zu haben!
Es dauert keine zehn Minuten, bis Claude durch Fronberg gefahren ist und einer schmalen Straße folgt. Bäume säumen den Straßenrand. Die Straße wird steiler und führt einen Berg hinauf. Die Anzahl der Bäume summiert sich, und schließlich wird daraus ein Wald. Ein Straßenschild steht am Rand. Sportinternat Schloss Drachenfels ist darauf zu lesen.
Claude schaut in den Rückspiegel, sucht den Blickkontakt zu Leon, als wolle er ihm sagen: Wir sind gleich da! Leon atmet tief durch. Es gibt hundert bessere Orte als diesen! Einer dieser Orte fällt Leon sofort auf Anhieb ein: das Haus seiner französischen Großmutter Colette. Als sie ihm am Morgen zum Geburtstag gratulieren wollte, durfte er nicht ans Telefon gehen. Sein Vater hatte es untersagt, weil es als Teil seiner Bestrafung gedacht war. Leon wünschte, er hätte seine Großmutter heimlich angerufen und ihr die Vorkommnisse geschildert. Seine Großmutter Colette ist eine resolute Persönlichkeit, die sich nicht von Leons Vater einschüchtern lässt. Sie kann ihren Schwiegersohn nicht ausstehen und rasselt regelmäßig mit ihm aneinander. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Leon weiß, dass seine Mutter sich bei seiner Oma ausheulen wird. Das wird reichlich Zündstoff geben! Wenn Leon alles zu viel wird, will er zu seiner Großmutter abhauen. Die weiß immer Rat. Und wenn es sein muss, dann schießt sie sogar mit Kanonen auf Spatzen!
Der Wald lichtet sich. Das Sonnenlicht fällt durch das sich öffnende Kronendach der Bäume. Für einen kurzen Moment wird Claude geblendet. Automatisch kneift Leon die Augen zusammen. Als der Mercedes aus einer Linkskurve kommt, ist plötzlich der Schlossturm zu sehen. Er ragt in der Ferne wie ein Riese auf und hat etwas Unheimliches. Nach wenigen Metern kommt das gesamte Schloss in Sicht. Majestätisch steht es in der Landschaft und mutet wie das Überbleibsel aus einer längst vergangenen Epoche an. Das Schloss wirkt düster und wäre die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm. Aus der Entfernung wirken die großen Schlossfenster wie Augen, denen nichts entgeht, was sich in der Nähe vom Anwesen abspielt. Die dunklen Schlossmauern sind wie ein Schutzwall, der unüberwindbar ist. Der Sonnenschein lässt das Schloss noch recht freundlich aussehen. In tiefster Nacht hüllt der silberne Mondschein das alte Gemäuer sicherlich in ein geheimnisvolles Licht.
»Ich hätte Holzpflöcke, Knoblauch und Kruzifixe einpacken sollen!«, sagt Leon und weiß nicht wirklich, was er davon halten soll.
»Bist du dir sicher, dass wir in der Eifel sind und nicht in Transsilvanien?«
»Ganz
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