Der Neue im Sportinternat
vom Unterricht, verstanden! Von einer sportlichen Elite verlange ich Disziplin in jeglicher Hinsicht!« Denniger kriegt einen neuen Hustenanfall und muss seine Standpauke unterbrechen. Als sich der Hustenanfall gelegt hat, setzt er die Standpauke fort: »Ohne Fairplay geht gar nichts im Leben! Es gibt gesellschaftliche und humane Strukturen, die jeder von uns einhalten sollte. Wer keine Disziplin hat, wird es nicht weit bringen! Um Karriere zu machen, bedarf es Disziplin und Talent. Mit einem guten Namen allein kommt niemand weiter, nicht im Sport! Und vergessen Sie nicht, meine Herren, dass Sie hier nicht nur eine sportliche Bildung erhalten! Einige von Ihnen werden als Wirtschaftslenker eine berufliche Laufbahn einschlagen, die Sie ebenfalls ganz nach oben bringen kann, wenn Sie die nötige Disziplin aufbringen! Aus unserem Internat sind Topmanager im Spitzensport hervorgegangen. Schreiben Sie sich hinter die Ohren, dass eine positive Persönlichkeitsstruktur für eine Karriere das A und O ist! Und nun zu Ihnen, Leon. Bis vor einer halben Stunde wusste ich noch gar nicht, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren werden. Normalerweise hat das Internat einen gewissen zeitlichen Vorlauf, was Neubewerber betrifft. Meine Herren! Sie sehen, Sie tun gut daran, wenn Sie über gewisse Kontakte verfügen. Vor Ihnen steht der lebendige Beweis! Also schön, Leon, suchen Sie sich einen Platz, damit wir endlich mit dem Unterricht beginnen können. Mittlerweile ist es 20 nach acht. Mathematik steht an!«
Kopfnickend geht Leon einen Schritt nach vorn. Ganz hinten ist noch ein Platz frei, neben einem dunkelhaarigen, sehr schlanken Jungen mit großen braunen Augen und weichen Gesichtszügen. Sein glattes Haar ist etwas länger gewachsen. Er lächelt Leon zu und zeigt mit der Hand auf den freien Stuhl neben ihm. In dieser Situation ist das so, als würde man jemanden auf den einzigen Stern am Himmel aufmerksam machen. Als würde man den nicht auch allein bemerken! Immerhin ist das Leons erstes Lächeln seit der Ankunft im Internat! Leon trottet los. Falko starrt ihn an. Mit dem Blick hält er Leon regelrecht fixiert. Falko sitzt zwei Bänke vor dem freien Platz, der nun Leon gehört. Leon ist nur noch wenige Zentimeter von Falko entfernt. Obwohl er es nicht will, sieht er flüchtig zu ihm. Falko beginnt wild zu züngeln und wirkt eiskalt. Er ist die Art von Typ, dem man lieber aus dem Weg geht, weil man weiß, dass er auf Streit aus ist. Leon sieht nach vorn. Falko stellt ihm ein Bein, und Leon fällt darüber. Die Bücher fallen zu Boden, und Leon schlägt der Länge nach hin. Gelächter bricht aus.
»Falko!«, ruft Denniger nach hinten.
»Hey! Ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn der Suppenkasper nicht richtig laufen kann, oder?«
Leon steht auf, sieht zu seinem neuen Tischnachbar, der nicht lacht, sondern ihn mitfühlend anschaut. »Mein Fehler!«, lässt er Denniger wissen, weil er keine Lust auf Ärger hat. Leon sammelt seine Bücher zusammen und setzt sich hin.
Falko dreht sich um und wirft Leon einen bösen Blick zu. Denniger beginnt mit dem Unterricht.
»Hallo! Ich bin Dennis«, stellt sich Leons neuer Tischnachbar tuschelnd vor. »Allerdings nennt mich jeder nur Chocco.«
»Chocco?«
»Gefällt dir der Name nicht? Weißt du, ich schnabuliere jede Menge Schokolade und werde in Lichtgeschwindigkeit braun. Ein einziger Sonnenstrahl reicht dafür völlig aus!«, erklärt Chocco, wie er zu seinem Spitznamen gekommen ist. »Eigentlich müsste ich eine rollende Tonne sein, bin ich aber nicht. Siehste ja!«
»Aha.« Leon präsentiert sich nicht besonders offen, weil seine ersten Eindrücke nicht unbedingt positiv sind. Er fühlt sich von einem Haufen Arschlöcher umzingelt. Leon ist noch keine halbe Stunde in seiner neuen Klasse und kommt zu dem Ergebnis, dass das Internat seine derbsten Erwartungen übertrifft und sehr viel schlimmer ist!
Chocco wertet Leons Zurückhaltung ihm gegenüber als Ablehnung und ist enttäuscht. Die Enttäuschung ist ihm unschwer anzusehen. Chocco nimmt einen Bleistift und beginnt zu zeichnen. Leon beobachtet ihn und erkennt, dass Chocco ein wahres Talent ist! Er zeichnet einen Scheiterhaufen und stellt sich selbst in die Mitte. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Choccos Selbstportrait ist mehr als gelungen. Besonders ausdrucksvoll hat er seine großen rehbraunen Augen gezeichnet, die traurig und hilflos blicken. Unter die Zeichnung schreibt er Agnus Dei.
»Wirkt leicht depressiv«,
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