Die Meuterer der ›Bounty‹
Gabriel Marcel / Jules Verne
Die Meuterer
der ›Bounty‹
Mit 5 Illustrationen von S. Drée
Titel der Originalausgabe:
Les Révoltés de la Bounty (Paris 1879)
Nach zeitgenössischen Übersetzungen
überarbeitet von Günter Jürgensmeier
Dem Leser diene zur Nachricht, daß die folgende kurze Erzählung kei-
neswegs erdichtet ist. Alle Einzelheiten sind den Marine-Annalen Eng-
lands entnommen. Die Wirklichkeit bietet eben zuweilen so romanti-
sche Vorkommnisse, daß jede weitere Zutat der Phantasie unnötig wird.
1. KAPITEL
Die Aussetzung
Kein Lufthauch weht, kein Fältchen kräuselt das weite,
weite Meer, kein Wölkchen irrt über den klaren Himmel.
Die glänzenden Sternbilder der südlichen Halbkugel leuch-
ten in unvergleichlicher Reinheit. Schlaff hängen die Segel
der ›Bounty‹ an den Masten des unbewegten Schiffes, und
das Licht des Mondes, das vor der allmählich heraufdrän-
genden Morgenröte erblaßt, schimmert geisterhaft im gren-
zenlosen Raum.
Die ›Bounty‹, ein Schiff von 250 Tonnen mit einer Besat-
zung von 46 Mann, hatte Spithead am 23. Dezember 1787
verlassen unter dem Befehl von Kapitän Bligh, einem er-
fahrenen, aber etwas rohen Seemann, der den berühmten
Cook auf seiner letzter Entdeckungsreise begleitet hatte.
Die ›Bounty‹ war bestimmt, den auf Tahiti in großen
Mengen vorkommenden Brotfruchtbaum nach den Antil-
len zu überführen. 6 volle Monate lag William Bligh damals
in der Bay von Matavai, um etwa tausend jener Bäume zu
laden, und schlug nun, nach kurzem Aufenthalt bei den In-
seln der Freunde, den Weg nach Westindien ein.
Schon wiederholt hatte der mißtrauische und jähzornige
Charakter des Kapitäns zwischen ihm und einigen seiner
Offiziere sehr unangenehme Auftritte hervorgerufen. Die
Ruhe, die am 27. April 1787 bei Sonnenaufgang an Bord der
›Bounty‹ herrschte, ließ jedoch die sehr ernsten Vorkomm-
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nisse, die sehr bald eintreten sollten, nicht im mindesten
voraussehen.
Alles erschien so friedlich, als sich plötzlich auf dem gan-
zen Schiff eine unerwartete Bewegung bemerkbar machte.
Einzelne Matrosen traten zusammen, wechselten einige
flüchtige Worte und verschwanden geräuschlosen Schritts
wieder.
Gilt es nur der Ablösung der Morgenwache? Ist auf dem
Schiff sonst etwas geschehen?
»Vor allem keinen Lärm, meine Freunde«, sagt Fletcher
Christian, der zweite Offizier der ›Bounty‹, halblaut. »Ihr,
Bob, ladet Eure Pistole, doch schießt nicht ohne meinen Be-
fehl. Ihr, Churchill, nehmt die Axt und sprengt nötigenfalls
damit die Tür zur Kapitänskabine. Doch, ich wiederhole es,
ich muß ihn lebend haben!«
Gefolgt von zehn mit Säbeln, Seitengewehren und Pis-
tolen bewaffneten Matrosen, glitt Christian nach dem Zwi-
schendeck hinab; hier blieb er, nach Aufstellung zweier Wa-
chen vor der Kabine des Stewards und Peter Heywoods, des
Hochbootsmanns und Midshipmans der ›Bounty‹, vor der
Tür des Kapitäns stehen.
»Nun frisch, Jungs«, rief er, »stemmt die Schultern an!«
Die Tür gab unter dem gemeinsamen Druck nach, und
die Matrosen drangen in die Kabine ein.
Vielleicht erschreckt durch die darin herrschende Dun-
kelheit oder dadurch, daß ihnen unwillkürlich das Gesetz-
widrige ihrer Handlungsweise zu Bewußtsein kam, zöger-
ten sie einen Augenblick.
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»Holla! Was gibt’s? Wer erfrecht sich . . .?« rief der Kapi-
tän, von seinem Lager aufspringend.
»Ruhe, Bligh!« fiel ihm Churchill ins Wort. »Ruhe, oder
ich lasse dich knebeln!«
»Brauchst dich nicht erst anzuziehen«, fügte Bob hinzu.
»Du wirst schon gut genug aussehen, wenn du an der Be-
sangaffel baumelst.«
»Bindet ihm nur die Hände auf den Rücken, Churchill«,
mahnte Christian, »und laßt ihn nach dem Deck aufho-
len.«
»Der schlimmste Kapitän ist doch nicht im geringsten
zu fürchten, wenn man nur richtig mit ihm umzuspringen
weiß!« bemerkte John Smith, der Philosoph der Bande.
Darauf stieg die ganze Rotte, ohne sich darum zu küm-
mern, ob die noch schlafenden Matrosen der letzten Wache
darüber munter würden, die Treppe hinauf und erschien
wieder auf dem Deck.
Es war eine ganz regelrechte Meuterei. Nur einer der
Bordoffiziere, ein Midshipman Young, hatte mit den Rebel-
len gemeinsame Sache gemacht.
Die unschlüssigen Leute von der Besatzung mußten für
den Augenblick nachgeben, während die übrigen aus Man-
gel an Waffen und an einem Anführer nur die Zuschauer
des Dramas
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