Der Nobelpreis
was nun folgt: Das Glace Nobel wird serviert.
Eine Prozession von Kellnern, die so schnell einherschreiten, wie es sich mit der Erfordernis, feierlich zu wirken, gerade noch vereinbaren lässt, kommt mit von Funken sprühenden Wunderkerzen illuminierte Eiscreme die Treppe herunter. In Windeseile werden die Teller verteilt, die Kellner verschwinden im Dunkel und sind kurz darauf auf geheimnisvolle Weise erneut Bestandteil der Prozession. Es ist eine Zeremonie, die lachhaft wirken würde, wenn sie nicht so herzergreifend schön wäre.
Gegen Ende des Nobelbanketts schlägt noch einmal die Stunde der Preisträger. Sie treten der Reihe nach an ein kleines dunkles Pult in einer Nische neben der Treppe, schlichte elf Stufen über dem Boden der Halle, und sprechen Worte des Dankes, manche mit bebender Stimme, die meisten bescheiden, immer aber der Forderung eingedenk, ein Zeitlimit von drei Minuten nicht zu überschreiten. Es ist eine der segensreichsten protokollarischen Begrenzungen, denn nach diesem Tag, nach diesem Abendessen mit Champagner und schwerem Wein wäre niemand mehr imstande, langen und womöglich tief schürfenden Reden in fremden Sprachen oder dialektgefärbtem Englisch zu folgen.
Schließlich endet das Bankett. Da ein ungeschriebenes Gesetz fordert, dass niemand vor dem König den Saal verlässt, ist es an ihm, das Signal dazu zu geben. Freilich erhebt sich König Carl XVI. Gustaf nicht nach Belieben von seinem Stuhl, sondern genau zu dem Zeitpunkt, den das sorgsam ausgearbeitete Protokoll dafür vorsieht. Im Goldenen Saal muss der letzte Anrichtetisch verschwunden sein und das Tanzorchester bereitstehen, wenn das Bankett endet. Sobald die königliche Familie, die Preisträger, die Professoren und Studenten und all die übrigen Gäste aufstehen und die Treppen hochsteigen, erklingt bereits Musik, auch diesmal, wie jedes Jahr, als Erstes ein Wiener Walzer.
Gegen ein Uhr endet auch der Tanz im Goldenen Saal. Die königliche Familie, die noch einmal in der Prinzengalerie Hof gehalten und ihre Gespräche mit den Preisträgern abgerundet hat, zieht sich zurück, und die Gäste entschwinden in die Winternacht. Doch die ist deswegen keineswegs schon zu Ende. Kein Preisträger, der nicht zu mindestens einer der vielen Feiern, die die Stockholmer Studentenverbindungen ausrichten, eingeladen wäre. Die Chauffeure der VOLVO-Pullman-Limousinen, die den Laureaten für die Zeit ihres Aufenthalts in Stockholm zur Verfügung stehen, kennen die Wege, und ohnehin wird jeder Laureat von einem ganzen Tross von Studenten begleitet und betreut, jungen Leuten mit leuchtenden Augen, für die sie Idole sind, so etwas wie die Popstars der wissenschaftlichen Welt.
Auch Mitglieder des Nobelkomitees findet man auf diesen Festen. Eine ganz eigentümliche Heiterkeit geht von ihnen aus. Wieder einmal ist es vollbracht, wieder einmal ist alles gut über die Bühne gegangen. Ihre Entspannung scheint tiefer zu reichen als die aller anderen. Vielleicht, weil sie sich bewusst sind, dass ihnen im Grunde nur diese eine Nacht Pause vergönnt ist. Bereits am nächsten Morgen geht die nie endende Arbeit weiter: Es gilt, die Preisträger des kommenden Jahres ausfindig zu machen.
Diesmal jedoch ging etwas schief.
KAPITEL 2
Der Nobelpreis kennt nur Sieger. Nicht einmal zweite und dritte Plätze werden vergeben, von weiteren Rängen ganz zu schweigen. Die Öffentlichkeit erfährt nie, wer nominiert war oder wie die Abstimmungen verlaufen sind – nur, wer gewonnen hat. Alle Entscheidungen sind unwiderruflich, und sie können nicht angefochten werden.
Die Aufgabe, die Preisträger zu küren, fällt den Nobelkomitees zu, von denen es für jede Preiskategorie eines gibt. Alfred Nobel hat die dafür zuständigen Einrichtungen in seinem Testament unmissverständlich benannt – interessanterweise, ohne sie vorher zu fragen. Nach Nobels Tod am 10.Dezember 1896 vergingen einige Jahre, ehe alle Institutionen bereit und imstande waren, die ihnen zugedachten Aufgaben zu übernehmen, sodass erst 1901 die Nobelpreise zum ersten Mal verliehen wurden: an den Deutschen Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der von ihm noch so genannten »X-Strahlen«, an den Niederländer Jacobus van’t Hoff für die Bestimmung der Gesetzmäßigkeiten des osmotischen Drucks, an den Deutschen Emil Adolph von Behring für seine Arbeiten über Serumtherapie und an den französischen Dichter Sully Prudhomme. Der erste Friedensnobelpreis ging je zur Hälfte an den
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