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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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    Ich bin Latil, dachte sie zähneknirschend. Als sie es sagen wollte, fielen ihr die Wörter nicht mehr ein, und nur ihre Lippen zitterten leicht über den gebleckten Zähnen. Die Zähne knirschten. Code, dachte sie. Code. Alles sehen, voll da. Und das Tier knirscht mich an, mit meinen eigenen Zähnen. Die Zähne gehörten ihr nicht mehr. Gemahlene Zähne im Wein des Käufers, die Perlen der Pharaonin. Die Zähne von Latil. Ich bin L-, dachte Latil, und weiter kam sie nicht, denn die Umcodierung fraß sich gerade an einer Stelle durch ihr Großhirn, das für die Fähigkeit verantwortlich war, ›A‹ zu denken. Ich. Ihre geballten Fäuste wirkten lächerlich, Maschinenteile, beziehungslos hingehängt vor den altmodischen Glasspiegel, in dem sich auch ihr Gesicht, ihre Zähne, ihre Schultern, ihre Brüste und der Ansatz ihrer Bauchmuskeln spiegelten. Latil konnte ihren Kopf nicht mehr drehen. Zähne sind wichtig, dachte sie. Ich hätte nicht -. ›Ä‹ war denkbar, ›A‹ nicht. Ihre Kiefer begannen zu schmerzen. Sie war vor dieser Nebenwirkung gewarnt worden, in allen Hauptsprachen des Sektors. Das metallisch glänzende Tütchen lag vor dem Spiegel, ein wenig von dem weißen Pulver klebte noch an dem rohen Riss, den Latil an den Mund gesetzt hatte, um den Inhalt einzuatmen. Einatmen, nicht schlucken. Das war die Kunst. Auch wenn sich die Lunge wehrte. Wenn das Pulver verdaut wurde, wirkte es nicht. Nur über die Lunge. Ihre Lungen brannten, als habe sie flüssiges Blei eingeatmet. Sie lebte, weil sich ihr Brustkorb hob und senkte. Blasebalg, hätte sie gerne gedacht, aber während ›A‹ langsam wieder frei wurde, war ›B‹ jetzt besetzt, und ›L‹ war seltsam verwaschen.
    Latil sah die Tätowierungen an ihren Oberarmen entlangzüngeln, von den Handgelenken bis zu den Ellenbogen. Neoarabische Kalligraphie, feine tätowierte Zungen, in stilettscharfen Spitzen auslaufend, wie die Blätter eines blauen Grases. Ihre Kennung. Sie schwitzte trotz ihrer Nacktheit und war dankbar für die Kühlung. Das gute Tier knirscht mit den Zähnen. Jetzt lachen, dachte sie, und alles ist vorbei. Wenn das Pulver bei seiner Arbeit gestört wurde, konnte es sie auch auswischen wie einen Strich Kreide. Auch das hatte ihr die würfelförmige Verpackung des silbrigen Tütchens erklärt. Moderne Zeiten, jetzt schon ewig. Ihre kurzen Haare standen ab wie unter Spannung. Noch eine halbe Stunde, sagte eine Stimme aus der Mitte ihres Gehirns. Fünf Minuten erst vorbei. Überall Schweiß. Ihre winzigen Brüste waren fast völlig aufgespannt über ihren steinhart verkrampften Brustmuskeln. Ihr Körper begann unwillkürlich zu zucken, wahrscheinlich weil die betreffenden Gehirnregionen umcodiert wurden, und sie hoffte nur, dass der Sicherheitsrechner ihre Tätowierungen auch lesen konnte, wenn ihre Arme zuckten. Der linke Arm ihr Name, der rechte ihr Motto: Die Kraft der Schmerzen. Zum Glück dauerte das Zucken nicht sehr lang, sie fühlte sich sehr verwundbar in diesem Zustand. In ihrem nutzlosen Körper, der nur von verkrampften und durchsäuerten Muskelpaketen in seinen Grenzen gehalten wurde, rikoschettierte noch das Echo der Angst, als sie die andere Tätowierung auf ihrer Brust wieder entziffern konnte. Dort stand in allen Hauptsprachen des Sektors: »Ich habe kein Geld.« In Lepant und Elingwe war das gleichbedeutend mit »Ich bin ehrlos« bzw. »Die Götter verachten mich.« Der Tätowierer hatte ganze Arbeit geleistet. Je weiter die Zeilen an ihrem Körper abstiegen, desto beleidigender wurden die Übersetzungen. Wie immer hätte Latil beim Anblick der Sprüche lachen mögen, weil für die Kennungskalligraphie auf ihren Unterarmen und für die Beleidigungen auf ihrem Bauch derselbe Künstler verantwortlich war. In Wirklichkeit hing beides eng miteinander zusammen. Sie hatte eine Kennungstätowierung gebraucht und kein Geld mehr gehabt. Also hatte der Künstler sie auf seine Weise bezahlen lassen. Auf Morpheus tätowierte man nach hohen künstlerischen Standards. Überhaupt bewegte sich dort das Kunsthandwerk auf einem hohen Niveau. Die Beleidigungen auf ihrer Brust und ihrem Bauch ließen sich nicht entfernen. Wer es doch versuchte, konnte an der giftig gewordenen Tinte sein Gedächtnis verlieren, wahnsinnig werden, sterben. In einer kleinen Kartusche, links neben ihrem Nabel, hatte der Tätowierer sein Namenskürzel hinterlassen, gewissermaßen als Rechnungsadresse.
    Ich sollte nach Morpheus zurückgehen, dachte Latil,

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