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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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und er fühlte wiederetwas Kraft. Ricky rappelte sich auf und drang tiefer in den Schlund der Gasse.
    Er hörte einen schwachen Laut und horchte angestrengt, bevor er ihn einordnen konnte: eine Stimme, die leise und schräg sang.
    Ricky lief sachte auf die Stimme zu. Neben sich hörte er ein kratzendes Geräusch, vermutlich eine davonhuschende Ratte. Er legte sich die Taschenlampe in der Hand zurecht, bemühte sich aber, seine Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Das war nicht leicht, und er stolperte ein-, zweimal, als er mit den Füßen gegen undefinierbare Brocken stieß. Einmal fiel er fast hin, fing sich aber so eben und setzte seinen Weg fort.
    Sein Gefühl sagte ihm, dass er fast vor dem Mann stand, als der Gesang verstummte.
    Ein, zwei Sekunden lang herrschte Stille, dann hörte er die Frage: »Wer ist da?«
    »Ich bin’s nur«, erwiderte Ricky.
    »Keinen Schritt weiter«, kam die Antwort. »Ich tu dir was, vielleicht bring ich dich um. Ich hab ein Messer.«
    Die Worte waren gelallt, mit vom Alkohol schwerer Zunge. Ricky hatte fast gehofft, der Mann wäre weggetreten, stattdessen war er noch halbwegs klar. Aber nicht mehr sehr beweglich, wie Ricky bemerkte, denn er hatte nicht gehört, dass der Mann versuchte, wegzukrabbeln oder sich zu verstecken. Er bezweifelte, dass er tatsächlich eine Waffe bei sich hatte, doch sicher konnte er nicht sein. Er blieb stocksteif stehen.
    »Das ist meine Gasse«, sagte der Mann. »Hau ab.«
    »Nein, es ist genauso gut meine«, sagte Ricky. Er holte tief Luft und unternahm einen Vorstoß in die Vorstellungswelt, in die er sich hineinversetzen musste, um zu dem Mann durchzudringen. Es war wie ein Kopfsprung in schwarzes Wasser, bei dem man nicht sehen konnte, was sich unter der Oberflächeverbarg. Willkommen im Club der Irren, sagte sich Ricky und versuchte, alles, was er in seinem früheren Leben und Beruf gelernt hatte, in die Waagschale zu werfen. Schaffe eine Wahnvorstellung. Säe Zweifel. Gib der Paranoia Vorschub. »Er hat mir gesagt, ich soll mich mit dir unterhalten. Das hat er gesagt. ›Finde den Mann in der Gasse und frag ihn nach seinem Namen.‹«
    Der Mann zögerte. »Wer hat dir das gesagt?«
    »Was meinst du, wer?«, antwortete Ricky. »Er eben. Er redet die ganze Zeit mit mir und sagt mir, wen ich aufsuchen soll, und das muss ich dann auch machen, weil er es mir gesagt hat, und da bin ich nun.« Er ratterte dieses Gefasel hastig herunter.
    »Wer spricht mit dir?« Die Frage kam in einem inbrünstigen Ton aus dem Dunkel, der mit der Wirkung des Fusels, den der Mann intus hatte, kämpfte.
    »Ich darf seinen Namen nicht nennen, jedenfalls nicht laut oder wo jemand mich hören könnte, schsch! Aber er sagt, du wüsstest schon, weshalb ich komme, wenn du der Richtige bist, und ich müsste es nicht weiter erklären.«
    Der Mann schien zu zögern und sich auf diesen blödsinnigen Befehl einen Reim machen zu wollen.
    »Ich?«, fragte er.
    Ricky nickte im Dunkeln. »Falls du der Richtige bist. Bist du es?«
    »Ich weiß nicht«, kam die Antwort nach einer kurzen Pause.
    »Denke schon.«
    »Hab ich mir fast gedacht«, sagte Ricky und nutzte den Moment, um die Täuschung einen Schritt weiterzutreiben. »Er nennt mir die Namen, weißt du, und ich soll dann zu den Leuten und ihnen die Fragen stellen, weil ich den Richtigen finden muss. Das mach ich also, jedesmal, und das muss ichauch, also, bist du nun der Richtige? Ich muss es nämlich wissen. Sonst ist das hier alles umsonst.«
    Der Mann musste das offenbar erst einmal verdauen. »Woher soll ich wissen, dass ich dir trauen kann?«, lallte er.
    Ricky streckte augenblicklich die Hand mit der kleinen Taschenlampe aus und leuchtete ihm damit ins Gesicht, ließ sie dann über die ganze Gestalt des Mannes gleiten und brauchte noch einmal Sekunden, um die Umgebung zu inspizieren. Er sah, dass der Stadtstreicher mit dem Rücken an einer Backsteinwand lehnte, die Weinflasche in der Hand. Neben ihm lagen noch einige Gegenstände und ein Pappkarton verstreut, vermutlich sein Zuhause. Er knipste die Lampe aus.
    »Aha«, sagte Ricky so überzeugend, wie er konnte. »Brauchst du noch mehr Beweise?«
    Der Stadtstreicher rutschte unruhig hin und her. »Ich kann nicht klar denken«, stöhnte er. »Mir dröhnt der Kopf.«
    Einen Augenblick fühlte sich Ricky versucht, dem Mann einfach in die Tasche zu fassen und sich zu nehmen, was er brauchte. Es juckte ihm in den Fingern. Er befand sich mit dem Mann allein in einer verlassenen

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