Der Patient
hatte den Kopf gesenkt. Ein paar Sekunden lang atmete er heftig, dann stand er auf und lief dem Mann weiter hinterher.
In Manhattan hatte Ricky gegenüber Virgil und Merlin –Rumpelstilzchens Katzen – die Maus gespielt. Jetzt hatte er die Rollen getauscht. Er blieb zurück, holte auf und setzte alles daran, den Mann nicht aus den Augen zu verlieren, während er gleichzeitig genügend Abstand hielt, um nicht entdeckt zu werden. Die Flasche in seiner Manteltasche, hatte der Mann nunmehr ein klares Ziel vor Augen und steuerte es im Eiltempo an. Dabei fuhr er wiederholt mit dem Kopf herum und schaute in alle Richtungen. Ricky dachte unwillkürlich, dass der Verfolgungswahn des Obdachlosen durchaus begründet war.
Sie legten Dutzende Häuserblocks zurück und schlängelten sich durch den Verkehr, bis die Gegend, durch die sie streiften, mit jedem Schritt schäbiger wurde. Das schwindende Tageslicht warf Schatten über die Straßen, und die ramponierten Ladenfronten, von denen der Putz abbröckelte, schienen die äußere Erscheinung von Ricky und seiner Zielperson nachzuäffen.
Er sah, wie der Mann in der Mitte zwischen zwei Straßenkreuzungen stehen blieb, und drückte sich an ein Gebäude, als der Verfolgte sich in seine Richtung wandte. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Mann abrupt in eine Gasse, einen schmalen Durchgang zwischen zwei Backsteinbauten, verschwand. Ricky holte tief Luft und ging ihm nach.
Er erreichte die Ecke und sah vorsichtig in die Gasse. Es war eine Stelle, an der es früher als anderswo dunkel wurde. An diesem abgeschotteten Ort, der im Winter nicht warm wurde, im Sommer keine Abkühlung bot, herrschte schon Nacht. Ricky konnte am hinteren Ende des Durchgangs, dort, wo er an die Rückseite eines anderen Gebäudes grenzte, schemenhaft eine Ansammlung weggeworfener Pappkartons und einen grünen Stahlcontainer erkennen, eine Sackgasse also, wie Ricky schloss.
Eine Kreuzung davor war er an einem Tante-Emma-Laden und einer Spirituosenhandlung vorbeigekommen. Er ließ von seiner Verfolgung ab und wandte sich in die Richtung. Er zog einen seiner kostbaren Zwanzig-Dollar-Scheine aus dem Mantelfutter und hielt ihn in der geschlossenen Faust, so dass das Papier bald schweißgetränkt war.
Zuerst ging er in die Spirituosenhandlung. Es war ein kleiner Laden, der in rot gemalten Lettern an den Schaufensterscheiben auf Sonderangebote aufmerksam machte. Er trat näher und legte die Hand an die Tür, um hineinzugehen, stellte jedoch fest, dass geschlossen war. Er sah auf und entdeckte einen Verkäufer, der hinter der Registrierkasse saß. Er drückte erneut, so dass es klirrte. Der Verkäufer starrte in seine Richtung, beugte sich dann plötzlich vor und sprach in ein Mikrofon. Aus einem Lautsprecher neben der Tür ertönte eine blecherne Stimme.
»Mach, dass du da wegkommst, du alter Arsch, es sei denn, du hast Geld.«
Ricky nickte. »Ich habe Geld«, erwiderte er.
Der Verkäufer mit dem Schmerbauch musste etwa in Rickys Alter sein. Als er die Stellung wechselte, sah Ricky, dass er eine große Pistole in einem Gürtelhalfter trug.
»Du hast Geld? Klar doch. Dann lass mal sehen.«
Ricky hielt den Zwanzig-Dollar-Schein hoch. Der Mann betrachtete ihn misstrauisch von der Kasse aus.
»Wie kommst du da dran?«, fragte er.
»Hab ich auf der Straße gefunden«, erwiderte Ricky.
Der Türöffner surrte, und Ricky schob sich in den Laden. »Wer’s glaubt, wird selig«, sagte der Verkäufer. »Na schön, du hast zwei Minuten. Was willst du haben?«
»Flasche Wein«, sagte Ricky.
Der Verkäufer griff hinter sich in ein Regal und holte eineFlasche heraus. Mit dem, was Ricky unter Wein verstand, hatte das hier nichts zu tun. Die Flasche hatte einen Schraubverschluss, und auf dem Etikett stand die Marke Silver Satin. Kostenpunkt zwei Dollar. Ricky nickte und reichte dem Mann seinen Schein. Der steckte den Wein in eine Papiertüte, öffnete die Kasse und holte einen Zehn-Dollar- und zwei Ein-Dollar-Scheine heraus, die er Ricky gab.
»Moment mal!«, sagte Ricky. »Sie schulden mir ein paar mehr.«
Mit einem bösartigen Grinsen legte der Verkäufer die Hand auf den Kolben des Revolvers und antwortete: »Ich glaube, ich hab dir dieser Tage einen Kredit gegeben. Hol mir nur wieder, was mir zusteht.«
»Sie lügen«, sagte Ricky wütend. »Ich war noch nie hier.«
»Willst du dich wirklich mit mir anlegen, du scheiß Penner?« Der Mann ballte die Faust und hielt sie Ricky dicht vors Gesicht. Ricky
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