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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Parks nicht weit vom Fluss. Er hatte etwa Rickys Größe und Statur, mit schmutzig braunen, dünnen Strähnen unter einer Pudelmütze, zerrissenen Shorts, dazu ein Wintermantel, der ihm fast bis auf das ungleiche Paar aus einem braunen Slipper und einem schwarzen groben Stiefel reichte. Ganz in den Inhalt der Mülltonnen vertieft, murmelte der Mann vor sich hin. Ricky ging so nahe heran, dass er die Verletzungen im Gesicht und an den Handrücken sehen konnte. Während er arbeitete, hustete der Mann wiederholt, ohne Ricky hinter sich zu bemerken. Eine Parkbank stand nur zehn Meter entfernt, und Ricky ließ sich darauf fallen. Jemand hatte Teile einer Tageszeitung darauf liegen lassen, und Ricky schnappte sie sich, um so zu tun, als ob er darin läse, während er den Mann beäugte. Nach ein, zwei Sekunden sah er, wie seine Zielperson eine weggeworfene Limodose aus dem Container angelte und in einen alten Einkaufswagen warf, die Sorte, die man hinter sich herzog, statt sie zu schieben. Der Wagen war fast bis an den Rand mit leeren Dosen gefüllt.
    Ricky sah sich den Mann so genau wie möglich an und sagtesich: Bis vor wenigen Wochen warst du Arzt. Los, eine Diagnose!
    Der Mann schien plötzlich erbost, als er eine Dose aus dem Abfall zog, mit der wohl etwas nicht stimmte, denn er warf sie mit Nachdruck zu Boden und trat sie mit dem Fuß ins nahe Gebüsch.
    Bipolar, dachte Ricky. Und schizophren. Hört Stimmen, kriegt keine Medikamente, zumindest keine, die er auch nimmt. Leidet unter plötzlichen manischen Ausbrüchen. Wohl auch mit einer gewalttätigen Neigung verbunden, aber wohl weniger eine Bedrohung für andere als für sich selbst. Die Verletzungen könnten entweder offene, schwärende Wunden vom Leben auf der Straße sein oder auch Kaposi-Sarkome. Aids lag eindeutig im Bereich der Möglichkeiten. Ebenso Tuberkulose oder Lungenkrebs, wenn man den fürchterlichen Husten des Mannes bedachte. Es kann auch Lungenentzündung sein, mutmaßte Ricky weiter, auch wenn es dafür die falsche Jahreszeit ist. Der Mann stand – so schloss Ricky seine Diagnose ab – mit einem Bein im Grab.
    Wenige Minuten später kam der Stadtstreicher offenbar zu dem Schluss, dass es in dem Abfalleimer nichts mehr zu holen gab, und machte sich zum nächsten auf. Ricky blieb sitzen und behielt den Mann im Auge. Nach einer Begutachtung dieses Behälters ging der Obdachlose weiter und zog den Einkaufswagen hinter sich her. Ricky schlenderte ihm nach.
    Sie brauchten nicht lange, bis sie an einer Straße in Charlestown mit geduckten, schmuddeligen Läden angekommen waren. Hier kauften die Minderbemittelten ein. Ein Discount-Möbelladen, der in großen Lettern auf den Schaufenstern
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anbot. Zwei Pfandhäuser, ein Haushaltswarengeschäft, ein Kleiderladen mit Schaufensterpuppen dekoriert, denen jeweils ein Arm oder ein Bein abhanden gekommenwar, als hätten sie einen Unfall erlitten. Ricky sah zu, wie der Mann, den er verfolgte, zielstrebig bis zur Mitte des Häuserblocks lief. An einem quadratischen Gebäude mit verblichener gelber Fassade befand sich ein Schild: L’S DISCOUNT GETRÄNKESHOP. Darunter stand auf einem zweiten Schild in fast gleich großen Blockbuchstaben: LEERGUTRÜCKGABE. Ein Pfeil wies zur Rückseite des Gebäudes.
    Der Mann mit den gesammelten Dosen im Schlepptau marschierte zielstrebig um die Ecke. Ricky ging hinterher.
    An der Rückseite befand sich eine Halbtür mit einem ähnlichen Schild darüber: LEERGUT HIER ABGEBEN. Seitlich davon befand sich eine Klingel, die der Mann drückte. Ricky schmiegte sich an die Wand.
    Nach kurzer Zeit erschien ein Teenager an der Tür. Die Transaktion als solche war in wenigen Minuten abgewickelt. Der Mann gab die gesammelten Dosen ab, der Teenager zählte sie und blätterte dem Lieferanten aus einem Bündel, das er aus der Tasche zog, ein paar Scheine hin. Der Mann nahm das Geld, griff in eine der großen Taschen in seinem Mantel und zog eine dicke, alte, mit Papieren vollgestopfte Lederbrieftasche heraus. Ein paar der Scheine steckte er in die Brieftasche, dann gab er einen dem Teenager wieder. Der Junge ver schwand und kam wenig später mit einer Flasche zurück, die er dem Stadtstreicher aushändigte.
    Ricky hockte sich auf den Zementboden und ließ den Mann passieren. Die Flasche, ein billiger Wein, wie Ricky vermutete, war bereits in den Falten des Mantels verschwunden. Der Obdachlose sah einen kurzen Moment zu Ricky hinüber, doch ohne dass sich ihre Blicke trafen, denn Ricky

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