Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
zuunterst in den Eimer stopfte.
    Ich weiß genug, dachte er.
    Die Ansage für seinen Bus kam über Lautsprecher; ein Angestellter hinter einer Glasabtrennung sprach sie so undeutlich ins Mikrofon, dass sie kaum zu verstehen war. Ricky stand auf und schwang sich seinen Rucksack über die Schulter. Er speicherte Dr. Starks im hintersten Winkel seines Bewusstseins ab und machte die ersten Gehversuche als Richard Lively.
     
    Sein neues Leben gewann rasch Kontur.
    Binnen einer Woche hatte Ricky zwei Teilzeitjobs an Land gezogen: einen als Kassierer in einem nahe gelegenen Molkereigeschäft, für fünf Stunden abends, den zweiten als Lagerist in einem Lebensmittelladen für nochmals fünf Stunden am Vormittag, so dass ihm für alles andere der Nachmittag blieb. In beiden Fällen hatte man ihm nicht viele Fragen gestellt, auch wenn der Filialleiter des Lebensmittelgeschäfts ihn mit Nachdruck gefragt hatte, ob Ricky an einem Entzugsprogramm teilnehme, was er bestätigt hatte. Wie sich herausstellte, traf das auch auf den Filialleiter zu, und nachdem Ricky mit einer Liste zuständiger Kirchen und Behördenstellen einschließlich sämtlicher Termine ausgestattet war, hatte sein Chef ihm zuletzt die allgegenwärtige grüne Schürze gereicht und ihn in die Arbeit eingewiesen.
    Mithilfe von Richard Livelys Sozialversicherungsnummer eröffnete er bei einer Bank ein Girokonto, auf das er den Rest seines Bargelds einzahlte. Kaum war das erledigt, stellte Ricky fest, dass die nächsten Anläufe in die Welt der Bürokratie relativ einfach waren. Für eine neue Sozialversicherungskarte musste er nur ein Formular ausfüllen, diesmal mit seiner eigenen Unterschrift.
    Ein Mitarbeiter der Kraftfahrzeugstelle hatte nicht einmal einen Blick auf das Foto des Führerscheins aus Illinois geworfen, als Ricky ihn einreichte und gegen einen neu ausgestellten von New Hampshire tauschte, mit eigenem Foto und eigener Signatur, mit seiner Augenfarbe sowie seiner Größe und seinem Gewicht. Dann richtete er sich ein Postfach ein, so dass er für seine Kontoauszüge wie auch für all den übrigen Schriftverkehr, den er in kürzester Zeit abwickeln würde, eine gültige Anschrift besaß. Er ließ sich Kataloge schicken. Er trat einem Videoverleih bei und wurde Mitglied beim YMCA. Alles, was ihm zu einer neuen Karte mit seinem neuen Namen verhalf. Ein weiteres Formular und ein Fünf-Dollar-Scheck wurde mit einer Kopie von Richard Livelys Geburtsurkunde belohnt, die ihm ein gewissenhafter Verwaltungsbeamter aus der Gegend um Chicago schickte.
    Dabei versuchte er, den Gedanken an den wahren Richard Lively zu unterdrücken. Er räumte ein, dass es nicht besonders schwer gewesen war, einen betrunkenen, schwerkranken und geistig verwirrten Mann um seine Brieftasche und Identität zu prellen. Auch wenn er sich sagte, dass es immerhin besser war, als sie aus ihm herauszuprügeln, so war der Unterschied doch gering.
    Ricky schüttelte die Schuldgefühle ab und erweiterte seinen Horizont. Er schwor sich, Richard Lively seine Ausweispapiere wiederzugeben, sobald er sich endgültig von Rumpelstilzchenbefreit hatte. Er wusste nur nicht, wie lange das dauern würde.
    Ricky wusste, dass er aus dem Zimmer mit Kochnische ausziehen musste, und so lief er wieder in die Gegend nicht weit von der Stadtbücherei und suchte nach dem Haus mit dem Schild ZIMMER ZU VERMIETEN. Zu seiner Erleichterung hing es immer noch im Fenster des bescheidenen Häuschens. Das Haus hatte seitlich einen kleinen Garten im Schatten einer großen Eiche, in dem es von leuchtend buntem Plastikspielzeug wimmelte. Ein temperamentvoller vierjähriger Junge spielte mit einem Kipper und einer Phalanx Spielsoldaten im Gras, während ein, zwei Meter entfernt eine ältere Frau in einem Liegestuhl saß und nur gelegentlich von der Tageszeitung zu dem Jungen aufsah, der beim Spielen Motoren- und Schlachtgeräusche von sich gab. Ricky sah, dass das Kind in einem Ohr ein Hörgerät trug.
    Die Frau schaute auf und sah Ricky auf dem Eingangsweg stehen. »Hallo«, sagte er. »Ist das Ihr Haus?«
    Sie nickte, faltete die Zeitung auf dem Schoß zusammen und sah zu dem spielenden Kind hinüber.
    »Ja, ist es«, sagte sie.
    »Ich hab das Schild gesehen. Wegen des Zimmers«, sagte er.
    Sie musterte ihn kritisch. »Wir vermieten gewöhnlich an Studenten«, erwiderte sie.
    »Ich bin eine Art Student«, sagte er. »Das heißt, ich möchte ein Aufbaustudium machen, aber ich brauche ein bisschen länger, weil ich

Weitere Kostenlose Bücher