Der Pfad der Dolche
blinzeln konnte, und bereits den dritten Pfeil abschießen, bevor jemand anderer einen zweiten in die Sehne eingelegt hatte.
Sie lächelte Elayne grimmig zu und schüttelte den Kopf, wobei ihr goldener Zopf schwang, der so lang und dicht wie Nynaeves Haar dunkel war. »Ich habe dir etwas ins Gesicht versprochen, nicht hinter deinem Rücken«, sagte sie trocken. »Wenn du ein wenig mehr Erfahrung hast, brauche ich dir nichts mehr über Behüter und Aes Sedai zu erzählen.« Elayne schnaubte, hob hochmütig das Kinn an und beschäftigte sich mit den Bändern ihres Hutes, der mit langen grünen Federn geschmückt und noch schlimmer als Nynaeves Hut war. »Vielleicht viel mehr«, fügte Birgitte hinzu. »Du versuchst schon wieder, alles unnötig aufzubauschen.«
Wäre Elayne nicht ihre Nächstschwester gewesen, hätte Aviendha über ihr Erröten gelacht. Jemanden zum Stolpern zu bringen, der hochmütig einherstolzierte, war stets ein Vergnügen, wie auch zuzusehen, wie jemand anderer dies tat, und selbst ein kleiner Sturz war ein Lachen wert. Nun richtete sie lediglich einen festen Blick auf Birgitte, ein Versprechen, daß mehr geahndet werden könnte. Sie mochte die Frau trotz all ihrer Geheimnisse, aber der Unterschied zwischen einer Freundin und einer Nächstschwester war etwas, was diese Feuchtländer anscheinend niemals verstehen würden. Birgitte lächelte nur, schaute von ihr zu Elayne und murmelte leise vor sich hin. Aviendha schnappte das Wort »Kätzchen« auf. Schlimmer noch - es klang liebevoll. Jedermann mußte es gehört haben. Jedermann!
»Was ist in dich gefahren, Aviendha?« fragte Nynaeve und stieß sie mit einem durchgedrückten Finger an. »Willst du den ganzen Tag mit geröteten Wangen dastehen? Wir sind in Eile.«
Erst jetzt erkannte Aviendha an der Hitze ihres Gesichts, daß sie ebenso errötet sein mußte wie Elayne. Außerdem stand sie stocksteif da, obwohl sie sich beeilen mußten. Von Worten getroffen - wie ein frisch mit dem Speer verheiratetes Mädchen, das die Neckerei unter den Töchtern des Speers - nicht gewohnt ist. Sie war es bereits seit fast zwanzig Jahren gewohnt und benahm sich wie ein Kind, das mit seinem ersten Bogen spielt. Dieser Gedanke ließ sie noch stärker erröten. Was der Grund dafür war, daß sie die nächste Biegung zu hastig nahm und beinahe mit Teslyn Baradon zusammengestoßen wäre.
Aviendha glitt auf den rotgrünen Bodenfliesen aus und hielt sich nur an Elayne und Nynaeve aufrecht. Dieses Mal gelang es ihr, nicht zutiefst zu erröten, aber sie hätte es gern getan. Sie beschämte ihre Nächstschwester ebenso wie sich selbst. Elayne bewahrte stets Haltung, egal was geschah. Glücklicherweise verkraftete Teslyn Baradon das Zusammentreffen kaum besser.
Die Frau mit dem scharfgeschnittenen Gesicht schrak zurück, keuchte wider Willen und straffte dann verärgert die schmalen Schultern. Die hageren Wangen und die schmale Nase verbargen die Alterslosigkeit der Züge der Roten Schwester, und ihr rotes, mit dunkelblauem, fast schwarzem Brokat besetztes Gewand ließ sie nur noch knochiger erscheinen, obwohl sie schnell wieder die Selbstbeherrschung der Dachherrin eines Clans annahm, die dunkelbraunen Augen so kühl wie tiefe Schatten. Sie glitt mißbilligend an Aviendha vorbei, würdigte Lan keines Blickes und funkelte Birgitte einen Moment an. Den meisten Aes Sedai mißfiel, daß Birgitte eine Behüterin war, obwohl niemand einen anderen Grund dafür nennen konnte, als etwas über Traditionen zu murren, Elayne und Nynaeve jedoch sah sie nacheinander forschend an. Aviendha hatte eher dem gestrigen Wind nachspüren als etwas auf Teslyn Baradons Gesicht lesen können.
»Ich habe es Merilille bereits gesagt«, äußerte sie in breitem illianischem Akzent, »aber ich kann Euch ebensogut auch beruhigen. Welches ... Mißgeschick ... auch immer Ihr begehen werdet - Joline und ich mischen uns nicht ein. Dafür habe ich gesorgt. Elaida muß niemals davon erfahren, wenn Ihr vorsichtig seid. Hört auf, mich wie Karpfen anzustarren, Kinder«, fügte sie mit angewidertem Gesichtsausdruck hinzu. »Ich bin weder blind noch taub. Ich weiß, daß sich Windsucherinnen des Meervolks im Palast aufhalten und geheime Treffen mit Königin Tylin stattfinden. Wie auch andere Dinge.« Sie preßte die schmalen Lippen zusammen, und obwohl ihr Tonfall ruhig blieb, flammte ihr dunkler Blick vor Zorn. »Für jene anderen Dinge werdet Ihr jedoch bitter bezahlen müssen, Ihr und jene, die Euch
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