Der Pfad der Dolche
begann jetzt eilig über das Fest der glühenden Kohlen zu sprechen, das heute nacht stattfinden sollte. Einige der Diener behaupteten, es gäbe ein Feuerwerk. Mehrere Wanderzirkusse mit seltenen Tieren und Akrobaten waren in der Stadt eingetroffen, die sowohl Elayne als auch Nynaeve interessierten, da sie einige Zeit bei solchen Zirkussen verbracht hatten. Sie sprachen über Näherinnen und die Vielzahl von in Ebou Dar erhältlicher Spitze sowie die verschiedenen Qualitäten von Seide und Leinen, die man kaufen konnte, und Aviendha genoß die Bemerkungen darüber, wie gut ihr das graue Seidenreitgewand und die anderen Kleidungsstücke aus edlem Tuch und Seidenstoffen standen, die Tylin Quintara ihr geschenkt hatte, wie auch die dazu passenden Strümpfe und Kleider zum Wechseln und den Schmuck. Elayne und Nynaeve hatten ebenfalls verschwenderische Geschenke erhalten. Insgesamt füllten ihre Geschenke eine Anzahl Kisten und Bündel, die zusammen mit ihren Satteltaschen von den Dienern zu den Ställen hinabgetragen worden waren.
»Warum blickst du so finster drein, Aviendha?« fragte Elayne, tätschelte deren Arm und lächelte ihr zu. »Sorge dich nicht. Du kennst das Gewebe. Du wirst es hervorragend machen.«
Nynaeve beugte sich gleichfalls zu ihr und flüsterte: »Ich werde dir einen Tee zubereiten, wenn ich die Gelegenheit dazu habe. Ich kenne mehrere Teesorten, die deinen Magen beruhigen werden, und auch jegliche andere Sorgen einer Frau.« Sie tätschelte Aviendhas Arm ebenfalls.
Sie verstanden nicht. Keine tröstenden Worte oder Tees konnten heilen, was sie plagte. Sie genoß Gespräche über Spitze und Stickerei! Sie wußte nicht, ob sie angewidert murren oder verzweifelt aufheulen sollte. Sie verweichlichte. Sie hatte niemals zuvor in ihrem Leben das Kleid einer Frau unter einem anderen Aspekt betrachtet als dem, wo sich darin vielleicht eine Waffe verbarg, niemals aber, um die Farbe oder den Schnitt zu bewundern oder darüber nachzudenken, wie es ihr stehen würde. Es war höchste Zeit, diese Stadt zu verlassen und aus den FeuchtländerPalästen herauszugelangen. Sie würde bald noch einfältig zu lächeln beginnen. Sie hatte Elayne und Nynaeve dies nie tun sehen, aber jedermann wußte, daß Feuchtländer-Frauen einfältig lächelten. Arm in Arm dahinzuschlendern und über Spitze zu plaudern! Wie sollte sie ihren Gürteldolch erreichen, wenn jemand sie angriff? Ein Dolch war gegen die bedrohlichsten Angreifer vielleicht nutzlos, aber sie hatte schon Vertrauen in Stahl gehabt, als sie noch nicht wußte, daß sie die Macht lenken konnte. Sollte jemand Elayne oder Nynaeve zu verletzen versuchen -besonders Elayne, aber sie hatte Mat Cauthon versprochen, sie beide ebenso sicher zu beschützen, wie Birgitte und Aan'allein es getan hatten -, sollte es also jemand versuchen, würde sie Stahl in deren Herzen pflanzen! Während sie vorangingen, beklagte sie ihre Verweichlichung insgeheim weiterhin.
Hohe Doppeltore reihten sich an drei Seiten des größten Stallhofs des Palasts; die Eingänge waren von Dienern in grünweißer Livree bevölkert. In den weißen, aus Stein erbauten Ställen hinter ihnen warteten gesattelte oder mit Weidenkörben beladene Pferde. Meeresvögel kreisten und schrien über ihnen, eine unerfreuliche Erinnerung daran, wieviel Wasser sich in der Nähe befand. Hitze strahlte von den hellen Pflastersteinen ab, und die Luft war schwer vor Anspannung. Aviendha hatte schon Blutvergießen gesehen, wo weniger Anspannung geherrscht hatte.
Renaile din Calon, gekleidet in roter und gelber Seide, die Arme überheblich unter den Brüsten verschränkt, stand vor neunzehn weiteren barfüßigen Frauen mit tätowierten Händen und bunten Blusen, die meisten mit ebenso bunten Hosen und Schärpen. Der auf ihren dunklen Gesichtern glänzende Schweiß tat ihrer ernsten Würde keinen Abbruch. Einige schnupperten an durchbrochenen Golddosen, die um ihren Hals hingen und mit einem schweren Duft gefüllt waren. Renaile din Calon trug fünf breite goldene Ohrringe, und an einer Kette, die von einem dieser Ringe über die linke Wange bis zur Nase verlief, hingen Medaillons. Jede der drei dicht hinter ihr befindlichen Frauen trug acht Ohrringe und nur geringfügig weniger Medaillons. So kennzeichnete das Meervolk untereinander die Ränge, zumindest bei den Frauen. Alle beugten sich Renaile din Calon, der Windsucherin der Herrin der Schiffe der Atha'an Miere, aber selbst die beiden Neulinge im Hintergrund in ihren
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