Der Pfad der Woelfin
Milzbrandbazillus oft ganze Dorfgemeinschaften, die Fleisch von plötzlich verendeten Tieren aßen, die nach dem Glauben der Landbevölkerung ihrerseits einem Vampir zum Opfer gefallen waren. Die Symptome dieser Infektion finden sich in den Berichten über die Vampiropfer: hohes Fieber, Krämpfe, rascher Verfall - bis hin zu Atembeklemmungen und dadurch ausgelösten Wahnvorstellungen.
Damit bleibt natürlich die Frage ungeklärt, ob es nicht vielleicht doch einige der nächtlichen Blutsauger gibt, die Anlaß waren zu der weitverbreiteten Furcht vor den Untoten. Die Wissenschaftler und Theologen der damaligen Zeit haben sich jedenfalls ausgiebig die Köpfe darüber zerbrochen - bis hin zu der Frage, ob der Satan mit den Vampiren nicht versuche, eine Art Auferstehung der Toten zu praktizieren, als Zerrbild des christlichen Auferstehungsglaubens und als Verhöhnung Gottes.
Die Geistlichkeit jedenfalls schürte kräftig mit an der Furcht vor den Wiedergängern. Zahllose Leichen wurden in jenen Jahren geschändet - oft mit Zustimmung der weltlichen und geistlichen Obrigkeit -, und niemand war die ungestörte Totenruhe sicher. Selbst kleine Kinder wurden aus ihren Gräbern gezerrt und als angeblich vom Vampirismus Infizierte verbrannt oder anderweitig »unschädlich« gemacht.
Interessanterweise ebbte diese Vampir-Seuche - oder das, was abergläubische Menschen dafür hielten - ungefähr zeitgleich mit dem Erscheinen von Bram Stokers »Dracula« ab. Der bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts in Literatur und Kunst zu registrierenden Vampir-Mode tat »Dracula« allerdings keinen Abbruch.
Ganz im Gegenteil: Das neue Medium Film begann alsbald, sich mit diesem Stoff auseinanderzusetzen. Immer wieder faszinierend: Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm »Nosferatu«, der erste einer schier endlosen Reihe von Vampirfilmen - bis hin zu solchen Meisterwerken wie Francis Ford Coppolas »Dracula« oder den Leinwandabenteuern von Anne Rice's Helden Lestat de Lioncourt. Roman Polanski setzte mit seinem »Tanz der Vampire« den Sieg der Blutsauger über den Rest der Menschheit in Szene - unvergeßlich sein schwuler Vampir -, und Werner Herzog versuchte sich an einem Remake von Murnaus »Nosferatu« mit Klaus Kinski als dem tragischen Bösewicht. Ungezählt schließlich die B-Movies, in denen den Vampiren alles nur irgendwie Denkbare zum Opfer fällt - angefangen von Bikini-Mädchen bis zu Weltraum-Monstern.
Der Faszination der Untoten erlag als einer der ersten der Geheime Hofrat Johann Wolfgang von Goethe (»Die Braut von Korinth«, 1797). Doch sollte er nicht der einzige bleiben. Weltliteratur und Kolportage, Theater und »Gothic Tales«, Malerei und Grafik - überall trieben im 18. und 19. Jahrhundert die Vampire ihr Unwesen. Und damals, in der Zeit der Romantik, wurde auch der Vampir als sexuelles Wesen entdeckt, als Verführer, als Verführerin, deren tödliche Küsse dem Sterblichen ungeahnte Wonnen versprechen.
Ein Umdenken hatte eingesetzt: Galt der Vampir über Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende hinweg als Bestie, getrieben von einem nie zu stillenden Blutdurst, so wurde er jetzt zum romantischen Wesen, Opfer eines unerbittlichen Schicksals mit durchaus mensch-lichen Emotionen, tragische Gestalt, nicht mehr seelenloses Monster. Diese Linie zieht sich durch bis heute, wo die Untoten fast schon zu positiven Gestalten geworden sind und selbst in den Kinderprogrammen des Fernsehens für Unterhaltung sorgen.
Blickt man zurück in die Literaturgeschichte, dann stellt man voller Überraschung fest, daß das literarische Monster (nämlich Frankensteins Kreation) und der literarische Vampir (er trug den Namen Lord Ruthven) bei derselben Gelegenheit das Licht der Welt erblickten, nämlich 1816 am Genfer See im Kreis der englischen Literaten Shelley und Lord Byron. Die Erzählung »The Vampyre« wurde am 1. April 1819 veröffentlicht und sofort in fast alle europäischen Sprachen übersetzt.
Befördert hat das natürlich der Name seines geistigen Vaters, der oft auch als Autor genannt wurde: Lord Byron. Das Werk, das im Gegensatz zu Mary Wollstonecraft Shelley's »Frankenstein« heute nur noch für Historiker und Liebhaber des Genres interessant ist, stammte allerdings aus der Feder von Byrons Leibarzt John William Polidori. Glück hat es ihm jedoch nicht gebracht - ein paar Jahre später brachte er sich um, angeblich aus Kummer darüber, daß ihm literarischer Ruhm versagt geblieben war.
Bereits ein Jahr später, I820,
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