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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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Seite, so rasch, dass es kaum zu bemerken war; Guy jedoch sah es und wandte sich ab.
    »Lasst mir Timothy und Peter künftig in Ruhe«, sagte ich barsch. »Und wenn Euer Soldatenwissen noch so umfangreich ist, hier bei mir habt Ihr Euch nur um das Hauswesen zu kümmern!«
    Coldiron zuckte mit keiner Wimper. »Gewiss, Sir. Ich lasse mich nicht mehr von den zwei Burschen bedrängen.« Mit einem tiefen Bückling verließ er den Raum. Ich starrte auf die geschlossene Tür.
    »Er selbst hat die Jungen zum Exerzieren in den Garten beordert«, empörte sich Guy. »Ich habe es gesehen. Timothy zumindest hatte keine Freude daran.«
    »Dieser Mann ist ein Lügner und ein Lump.«
    Guy lächelte traurig. »Du glaubst also nicht, dass er den Schottenkönig eigenhändig umgebracht hat?«, fragte er verwundert.
    Ich schnaubte verächtlich. »Jeder englische Soldat, der in Flodden kämpfte, behauptet von sich dasselbe. Ich spiele mit dem Gedanken, ihn vor die Tür zu setzen.«
    »Du tätest gut daran«, pflichtete Guy mir bei, der normalerweise doch die Langmut selbst war.
    Ich seufzte. »Es ist Josephine, um die es mir leidtut. Coldiron tyrannisiert sie genauso wie die Jungen.« Ich strich mir übers Kinn. »Ich muss übrigens morgen das Bedlam aufsuchen und nach Ellen sehen.«
    Er sah mich aus traurigen Augen unverwandt an. »Wenn du ein jedes Mal gelaufen kommst, sobald sie angibt, sie sei krank – nun ja, auf Dauer tust du euch beiden keinen Gefallen damit. Und wenn sie noch so sehr leidet, so hat sie doch nicht das Recht, dich in dieser Weise nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.«
    * * *
    Tags darauf machte ich mich zeitig auf den Weg zum Tollhaus. Am Abend davor hatte ich, was Ellen betraf, endlich einen Entschluss gefasst. Der Plan gefiel mir nicht, aber ich hatte keine Wahl. Ich legte Robe und Reitstiefel an, griff mir die Gerte und ging in den Stall. Ich würde durch die Innenstadt reiten, wo die Gassen breiter und gepflastert waren. Genesis hatte die Nase im Futterkübel stecken. Timothy, dessen Pflichten auch den Stall umfassten, tätschelte ihm die Kruppe. Als ich eintrat, hob der Wallach den Kopf und wieherte mir entgegen. Ich streichelte ihm über die Wange und den stacheligen Bart. Er war seit nunmehr fünf Jahren bei mir; als ich ihn bekommen hatte, war er noch ein junger Wallach gewesen. Jetzt war er ein reifes, friedliches Tier. »Hast du ihm die Kräuter ins Futter gemischt, wie ich es dir aufgetragen habe?«, fragte ich Timothy.
    »Ja, Sir, und sie schmecken ihm gut.« Timothys zahnlückiges Lächeln ging mir zu Herzen. Er war ein Waisenkind, hatte keinen Menschen außer mir, und ich wusste, dass er Joan schmerzlich vermisste. Ich nickte und sagte freundlich: »Timothy, wenn Master Coldiron euch beide noch einmal exerzieren lässt, dann sagt ihm, ich hätt’ es euch verboten, hast du mich verstanden?«
    Der Junge sah verstört drein, trat von einem Fuß auf den anderen. »Er sagt, dergleichen zu lernen sei wichtig für uns, Sir.«
    »Nun, und ich sage, ihr seid noch zu jung. Jetzt sei brav und hole mir die Aufsteigehilfe.« Dieser Mensch muss aus dem Haus, dachte ich bei mir.
    * * *
    Ich ritt den Holborn Hill hinunter und verließ die Stadt durch das Newgate, in dessen unmittelbarer Nähe sich das finstere, rußgeschwärzte Gefängnisgemäuer befand. Vor dem Eingang zum alten Christ’s Hospital hatten zwei Hellebardiere Haltung angenommen. Neuerdings diente das einstige Spital, wie andere Klosterbauten, als königliches Zeughaus. Ich dachte wieder an den Plan meines Freundes Roger, die Inns of Court sollten ein neues Armenspital gründen. Ich hatte versucht, die Arbeit nach seinem Tode weiterzuführen, aber die Steuerlast zur Finanzierung der Kriege war so gewaltig, dass ein jeder knapste und knauserte.
    Auf dem Weg durch die Shambles, das Schlachthausviertel, wurde ein Schwall Gänsefedern unter einem Tor hindurch auf die Gasse gefegt, was Genesis ein ängstliches Schnauben entlockte. Auch Blut sickerte auf die Straße. Neuerdings herrschte ein großer Bedarf an Pfeilen für die Waffenkammern des Königs, und so wurden wohl gerade Gänse geschlachtet für die erstklassigen Federn, die die Armbruster und Pfeilmacher zu verwenden pflegten. Ich dachte an die Musterung, der ich tags zuvor beigewohnt hatte. 1500 Männer waren in London bereits rekrutiert und gen Süden verschickt worden, ein gewaltiges Kontingent für die sechzigtausend Seelen in London. Und Ähnliches galt auch für andere Landesteile; ich hoffte

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