Der Pfeil der Rache
Schließer; um die Kranken kümmerte er sich nicht, traktierte sie allenfalls mit beiläufiger Grausamkeit. Mir dagegen brachte er ein wenig Respekt entgegen, seit ich seinem Dienstherrn, dem Oberaufseher Edwin Shawms, die Stirn geboten hatte, dessen Grausamkeit nicht beiläufig war. Außerdem war Gebons bestechlich. Als er meiner ansichtig wurde, trat ihm ein hämisches Grinsen ins Gesicht, das seine grauen Zähne zum Vorschein brachte.
»Wie geht es ihr heute?«, fragte ich ihn.
»Ist munter wie ein Lämmchen, Sir, seit Ihr Euer Kommen angekündigt habt. Bis dato wähnte sie sich von der Pest befallen. Shawms war wütend, als er sah, wie heftig sie schwitzte – und weiß Gott, das tat sie –, da uns ja die Quarantäne drohte. Dann erreichte uns Euer Schreiben, und binnen einer Stunde war sie genesen.« Er bedachte mich mit einem spöttischen Blick. »Ich würde es ein Wunder nennen, wenn die Kirche noch Wunder erlaubte.«
Ich trat ein. Sogar an diesem heißen Sommertag fühlte die Luft im Bedlam sich klamm an. Linker Hand stand die Tür zur Stube halb offen. Einige Patienten saßen um einen zerschrammten alten Tisch und würfelten. Auf einem Hocker in der Ecke kauerte leise weinend eine alte Frau, eine hölzerne Puppe an die Brust gedrückt. Die anderen Kranken schenkten ihr keinerlei Beachtung; hier gewöhnte man sich schnell an derlei Nöte. Zur Rechten befand sich der lange steinerne Korridor, von dem die Krankenzimmer abgingen. Jemand hämmerte von innen gegen eine der Türen. »Lasst mich hinaus!«, tönte eine Männerstimme.
»Ist Aufseher Shawms im Haus?«, fragte ich Hob leise.
»Nein. Er ist zu Sir Metwys gefahren.«
»Ich möchte Euch kurz sprechen, sobald ich bei Ellen war. Ich kann nur eine halbe Stunde bleiben. Ich habe noch eine Verabredung, die ich einhalten muss.« Ich griff an meinen Gürtel und klimperte vielsagend mit den Münzen im Beutel. Ich steckte ihm stets kleinere Beträge zu, um sicherzustellen, dass Ellen anständig zu essen und ein ordentliches Bettzeug bekam.
»Also schön. Ich bin im Kontor. Sie ist in ihrer Kammer.«
Ich brauchte ihn nicht zu bitten, mir die Zelle aufzuschließen. Eines war gewiss bei Ellen: sie würde nie und nimmer davonlaufen.
Ich ging den Flur entlang und klopfte an ihre Tür. Strenggenommen schickte es sich nicht, zu einer unverheirateten Frau in die Kammer zu treten, doch im Bedlam waren die gesellschaftlichen Regeln ein wenig gelockert. Sie bat mich hinein. Sie saß auf ihrem Strohlager, trug ein sauberes, tief dekolletiertes blaues Kleid, die anmutigen Hände im Schoß gefaltet. Ihr schmales Gesicht mit der vornehm gebogenen Nase war ruhig, nur ihre dunkelblauen Augen waren geweitet und blickten mich leidenschaftlich an. Sie hatte sich das lange braune Haar gewaschen, doch die Spitzen waren schieder und fransig. Dergleichen bemerkt kein verliebter Mann. Und genau darin lag das Problem.
Sie lächelte, dass die großen weißen Zähne blitzten. »Matthew! Ihr habt meine Nachricht erhalten. Mir war hundeelend.«
»Und jetzt geht es Euch besser?«, fragte ich. »Gebons sagte, Ihr wäret im Fieber gelegen.«
»O ja. Ich fürchtete schon, es sei die Pest.« Sie lächelte nervös. »Ich hatte Angst.«
Ich setzte mich ihr gegenüber auf einen Stuhl. »Ich sehne mich nach Neuigkeiten von der Welt draußen«, sagte sie. »Ich habe Euch über zwei Wochen nicht gesehen.«
»Knappe zwei Wochen, Ellen«, widersprach ich sanft.
»Und der Krieg? Sie sagen uns nichts, aus Sorge, die Nachricht könnte uns verstören. Aber der alte Ben Tudball darf hinaus, und er hat einen großen Trupp Soldaten vorübermarschieren sehen …«
»Es heißt, die Franzosen hätten eine Flotte ausgeschickt, um bei uns einzufallen. Und der Herzog von Somerset sei mit einer Armee an die schottische Grenze gezogen. Doch das sind nur Gerüchte. Niemand weiß Genaueres. Barak meint, die Gerüchte stammten von den Beamten des Königs.«
»Das muss nicht heißen, dass sie unwahr sind.«
»Nein.« Sie verfügte über einen scharfen Verstand und eine schnelle Auffassungsgabe, dachte ich, und ihr Interesse an der Welt war aufrichtig. Und dennoch saß sie hier fest. Ich schaute durch das vergitterte Fenster in den Hof hinaus und sagte: »Weiter den Flur entlang schlägt jemand gegen die Tür und will hinaus.«
»Ein Neuer. Der Ärmste bildet sich immer noch ein, er wäre gesund.«
Die Luft im Zimmer war zum Schneiden dick. Ich besah mir die Binsenstreu auf dem Boden. »Sie muss
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