Der Pfeil der Rache
Schreiben.
»
Noch
ein Brief von Ellen?«
»Schau dir das Siegel an. Du hast es schon gesehen.«
Er merkte auf. »Das Siegel der Königin. Ist das Schreiben etwa von Master Warner? Ein neuer Fall?«
»Lies«, sagte ich, »ich habe Angst davor.«
Barak faltete den Brief auf und las ihn vor.
Ich hätte gern Euren persönlichen Rat zu einem bestimmten Fall, eine private Angelegenheit. Bitte trefft mich morgen hier in Hampton Court, um drei Uhr am Nachmittag.
»Die Unterschrift –«
»Ich weiß. Stammt von Ihrer Majestät, nicht von Warner.«
Barak las das Schreiben noch einmal. »Es ist ziemlich kurz. Aber es soll um eine Rechtsangelegenheit gehen. Nicht um Politik.«
»Ich weiß. Aber die Sache ist offenbar dringend, wenn sie mich an einem Sonntag zu sich bestellt. Ich muss immerzu an voriges Jahr denken, als die Königin Warner gebeten hatte, jenen Verwandten ihres Dieners zu vertreten, den man der Ketzerei bezichtigt hatte.«
»Sie hat aber doch versprochen, Euch mit solchen Angelegenheiten zu verschonen. Und sie hält ihre Versprechen.«
Ich nickte. Vor über zwei Jahren, als Königin Catherine Parr noch Lady Latimer hieß, hatte ich ihr das Leben gerettet. Seitdem war sie meine Schutzherrin und hatte mir versprochen, mich nie mehr in politische Angelegenheiten hineinzuziehen.
»Wann habt Ihr sie zuletzt gesehen?«, fragte Barak.
»Im Frühjahr. Sie gewährte mir eine Audienz in Whitehall, um mir zu danken, weil ich diesen verworrenen Fall bezüglich ihrer Güter in den Midlands gelöst hatte. Dann schickte sie mir im vorigen Monat ihr Buch. Weißt du noch? Ich habe es dir gezeigt.
Gebete und Meditationen
.«
Er zog eine Grimasse. »Trübselige Faselei.«
Ich lächelte traurig. »Ja, in der Tat. Wer hätte gedacht, dass so viel Schwermut in ihr ist. Sie legte mir eine persönliche Nachricht bei, in der sie ihre Hoffnung zum Ausdruck brachte, das Buch möge mich mit Gott versöhnen.«
»Sie hat Euch noch nie Verdruss bereitet. Es handelt sich gewiss nur um eine gerichtliche Verfügung, Ihr werdet schon sehen.«
Ich lächelte ihm dankbar zu. Barak hatte die Kehrseite der Politik von klein auf kennengelernt, und ich wusste seine Beschwichtigung zu schätzen.
»Die Königin und Ellen Fettiplace, zwei hohe Damen an einem Tag!«, scherzte er. »Da habt Ihr alle Hände voll zu tun.«
»O ja.« Ich nahm den Brief an mich. Der Gedanke, mich wieder nach Hampton Court begeben zu müssen, verursachte mir Magenschneiden.
kapitel zwei
E s war später Nachmittag, als ich meine letzte Prozess-Information zu Ende gebracht und meine Niederschrift mit Sand bestreut hatte. Barak und Skelly waren bereits nach Hause gegangen, und auch ich machte mich allmählich auf den Heimweg, die Chancery Lane entlang.
Es war ein ausnehmend schöner Sommerabend. Vor zwei Tagen war Mittsommernacht gewesen, allerdings auf königlichen Erlass ohne die üblichen Feiern und Freudenfeuer. Man hatte in der Stadt eine Ausgangssperre verhängt und für die Nacht zusätzliche Wachschichten angeordnet, weil die Angst umging, französische Spione könnten Feuer legen.
Als ich an meinem Haus anlangte, schoss mir durch den Sinn, dass ich dieser Tage beileibe nicht mehr mit derselben Freude heimkehrte wie zu der Zeit, da Joan noch gelebt hatte; stattdessen regte sich nagender Ärger. Ich schloss die Türe auf. Josephine Coldiron, die Tochter meines Stewards, stand auf der Schilfmatte in der Eingangshalle, die Hände vor der Brust gefaltet und einen leeren, leicht bekümmerten Ausdruck im runden Gesicht.
»Guten Abend, Josephine«, sagte ich. Sie knickste und wackelte mit dem Kopf. Eine Strähne ihres ungewaschenen blonden Haares entschlüpfte der weißen Haube und baumelte ihr über die Augenbraue. Sie wischte sie fort. »Verzeiht, Sir«, sagte sie hastig.
Ich sprach sanft, da ich wusste, dass sie Angst vor mir hatte. »Wann gibt es Abendbrot?«
Sie sah schuldbewusst drein. »Ich habe noch nicht angefangen, Sir. Um das Gemüse vorzubereiten, brauche ich die Hilfe der Jungen.«
»Und wo sind Peter und Timothy?«
Josephine erschrak. »Äh, bei Vater, Sir. Ich hole sie.«
Mit flinken, trippelnden Schritten hastete sie in die Küche wie eine aufgeregte Maus. Ich begab mich in die Wohnstube.
Mein alter Freund Guy, der gegenwärtig Gast in meinem Hause war, saß auf einem Stuhl und sah aus dem Fenster. Er wandte sich um, als ich eintrat, wagte ein kleines Lächeln. Guy war ein Medikus, ein Mann von Stand; doch hatte dies eine Meute
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