Der Prinz der Hölle
Omeron jetzt, dass sie sich vermutlich gleich am ersten Tag in diesen Mann verliebt und von da an heimlich und listenreich alles getan hatte, um Du-jum die Eroberung Thesrads zu ermöglichen.
Aber warum? Weshalb sollte Yarise zum Verräter ihres Gemahls werden und gegenüber einer Stadt, über die sie ohnedies bereits zur Hälfte herrschte? Konnte ihre Faszination so groß sein, dass sie das Risiko nicht achtete? Und weshalb sollte Du-jum ausgerechnet dieses winzige Reich unter so vielen Stadtstaaten in den Steppen, den Tälern und an den unteren Berghängen für sich haben wollen? War es nur Yarise, die er besitzen wollte? Yarise, die Du-jum mit seiner Hexerei und seinen Soldaten eingelassen hatte, damit sie über Thesrad herfallen, sie einnehmen und erobern konnten?
Jeder hier im Lager wusste, dass es Lord Omerons Gemahlin gewesen war, die die Eroberung der Stadt ermöglicht hatte. Und Omeron wusste, dass alle, trotz ihrer Treue und Liebe zu ihm und dem Vertrauen, das sie ihm schenkten, auch ihm Schuld daran gaben. Denn zur Führerschaft gehörte nicht nur die Führung im Kampf und im Gebet, in der Regierung, der Verwaltung und den Gesetzen; zur Führerschaft gehörte auch, dass man sich selbst und jene um sich herum kennt. Und in dieser letzteren Beziehung hatte Omeron versagt.
Thesrads Truppen wären vielleicht imstande gewesen, Du-jums Zauberei und seine Mannen zu besiegen. Aber sie waren hilflos gewesen gegenüber dem Verrat der eigenen Gemahlin ihres Gebieters – einer Frau, die ihrem Herrscher blindlings das Messer in den Rücken gestoßen hatte, während sie vortäuschte, ihn zu lieben.
Eine kleine Stadt war Thesrad, mit alten Mauern und dem hohen Palast in der Mitte des Hauptplatzes. Sie war eine von vielen befestigten Städten in dem weiten Gebiet zwischen den Flüssen Styx und Ilbars – ein Pünktchen auf der Karte, so gut wie autark, aber mit unsicherem Stand zwischen den großen Staaten im Westen und den unbeständigen Königreichen des Ostens.
Alt war sie, diese Stadt, älter als ihre Bewohner ahnten. Thesrad war lediglich ihr letzter Name, den ihr ein corinthischer Statthalter vor hundert Jahren gegeben hatte. Davor war sie als Akasad bekannt gewesen, und wiederum davor als Kor-du’um: ›mit-leeren-Mauern‹. Ihre frühere Geschichte war in Vergessenheit geraten, nur Sagen hatten überlebt. Unter den neueren Bauten der Stadt befanden sich unterirdische Gänge, alte Grabkammern, die meisten eingefallen, und unter Erdschichten vergrabene Idole. Thesrads modernes Leben war wie Tünche über einem weit älteren und finstereren Bau.
Nach einer Sage war sie einst die Zuflucht von Hexern und Anhängern des Bösen gewesen. O ja, Thesrad verbarg finstere Geheimnisse in ihrem alten Schoß, und Du-jum war gekommen, sie freizulegen.
Yarise, Herrscherin von Thesrad, wusste davon, denn sie hatte sich willig bereiterklärt, dem Hexer bei seinem Plan zu helfen, die alten Mächte der Finsternis wiederzubeleben. Dadurch erhoffte sie sich große Macht, vielleicht sogar über die ganze Erde.
Weite Viertel der Stadt standen in Flammen, und nun war Du-jum der Eroberer. Während ein großer Teil der Bewohner den Tod fand oder wie Vieh unterdrückt wurde, jetzt, da ihr Gemahl tot oder geflohen war – niemand wusste etwas Genaueres –, betrachtete Yarise ihre Augen. Sie saß in ihrer Kemenate im Palast von Thesrad und betrachtete sich eingehend in ihrem brünierten Silberspiegel, ohne auf die Schreie der Bürger zu achten, die auf den Straßen niedergemetzelt wurden, obgleich sie laut durch ihr Fenster schallten. Sie fragte sich, ob ihr Lidschatten vielleicht etwas zu dunkel sei oder ob es nur eine Täuschung des Lichtes war. Und so zündete sie die Öllampen an.
Sie stand auf und musterte sich in dem großen Spiegel, der sie ganz zeigte, und war mit sich zufrieden. Sie war groß und schlank, mit üppigem Busen. Schon immer war sie sich ihrer Anziehungskraft auf Männer bewusst gewesen, und das war ihr eine Quelle der Freude. Dunkelhaarig war sie, dunkeläugig, mit vollen Lippen. Sie wusste, dass die Jahre ihr nichts ihrer Schönheit zu rauben vermocht hatten.
Sie hatte Du-jum nicht mehr gesehen, seit er mit seiner Armee in die Stadt eingefallen war, doch als die Schreie allmählich verstummten, zweifelte sie nicht, dass ihr dunkler Liebster bald zu ihr kommen würde, um seinen Sieg zu feiern. Dann würde sie sich einem Herrscher hingeben, den sie wirklich lieben und zu dem sie aufblicken konnte!
Denn
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